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leseprobeschuldenfalle

düstere aussichten. wirtschaft regional vom 22. mai 2010

walter wittmann staatsbankrott

«Alles auf Pump, wohin man schaut»

Die Eurokrise wird noch schlimmere Folgen zeitigen, als die vor zwei Jahren ausgebrochene internationale Finanzkrise. Das prophezeit der emeritierte Wirtschaftsprofessor Walter Wittmann aus Bad Ragaz.

Mit Walter Wittmann sprach Wolfgang Frey

Herr Professor Wittmann, in Europa geht die Angst vor Staatspleiten um, der Euro befindet sich, abgesehen von kurzen Erholungen, seit Wochen im freien Fall, die Finanzmärkte kollabieren wieder einmal, die Regierungschefs der Eurozone sprechen von Krieg. Was erleben wir gerade?

Walter Wittmann: Die Fortsetzung der internationalen Finanzkrise. Diese Krise ist ja noch nicht durch. Es wird spekuliert wie zuvor. Jetzt kommt erschwerend hinzu, dass sich die Staaten noch höher verschuldet haben. Fast überall haben die Staaten vor zwei Jahren billionenschwere Finanzspritzen an die Banken und Versicherungen verteilt, die damals am Abgrund standen. Dazu kamen Konjunkturpakete. Und dazu haben sich die Staaten noch weiter verschuldet als sie es ohnehin schon sind. Alles auf Pump, wohin man schaut. Und wenn Sie nach dem Ausmass der aktuellen Krise fragen: Was jetzt kommt, dürfte schlimmer sein, als das, was wir 2008 erlebt haben. In grösseren Dimensionen und auf höherem Niveau.

Das heisst, es droht ein weiterer Schock wie vor zwei Jahren, als die Spekulationen mit US-Schrotthypotheken erst die Banken und dann die gesamte Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds getrieben haben?

Ja, ich denke schon. Die Märkte korrigieren jetzt. Die Frage ist, wie weit sie nach unten treiben. Stützend wirkt im Moment sicher noch die enorme Liquidität, die an den Märkten vorhanden ist. Die Zinsen liegen ja nach wie vor fast bei null. Wenn die Börsen in dieser Lage trotzdem einbrechen, dann ist Hopfen und Malz verloren.

Sie haben das billige Geld angesprochen. Die Notenbanken sind es ja gewesen, die die Zinsen so tief gesenkt haben. Dann versorgen also gerade sie die Spekulanten mit den nötigen Mitteln, um unter anderem gegen den Euro zu wetten?

Ja, klar.

Die Politiker der Eurozone schieben die griechische Schuldenkrise auf die Spekulanten und die Ratingagenturen. Richtig so?

Teilweise. Angefangen hat es mit der Spekulation. Andererseits ist Griechenland mit seiner hohen Verschuldung auch nicht in einer guten Position. Früher oder später wären die Probleme an den Tag getreten. Griechenland ist wie ein reifer Apfel an einem Baum. Der wurde durchgeschüttelt und dann fiel der Apfel etwas früher herunter. Irgendwann wäre er aber auch von selbst gefallen.

Die Rettungspakete von einer dreiviertel Billion Euro, die Europäische Union und Internationaler Währungsfonds für die Pleitekandidaten unter den Euroländern geschnürt haben, sind beispiellos. Dennoch sind sie an den Finanzmärkten verpufft. Der Euro stürzte kurz darauf noch weiter ab. Alles umsonst?

Das heisst einfach, dass die Finanzmärkte nicht daran glauben, dass das Rettungspaket funktioniert. Die Spekulanten testen jetzt, ob die Sparversprechen eingehalten werden. Aber die Reaktion der Börsen zeigt ganz klar, dass kein Vertrauen in die Rettungspakete besteht, weder in das für Griechenland, noch in das für weitere potenzielle Pleitekandidaten in der Eurozone. Und beide Pakete bestehen ja aus Schulden.

Lässt sich das Vertrauen in den Euro überhaupt mit Geld kaufen?

Nein, Vertrauen kann man nicht mit Geld kaufen. Vertrauen schafft man mit einer gesunden Wirtschaft. Eine Bank schafft ja bei ihren Kunden auch kein Vertrauen, wenn sie dauernd rote Zahlen schreibt. Das ist bei Staaten nicht anders.

Im Zentrum der Debatte steht im Moment Griechenland. Aber auch andere Euroländer wie Spanien, Portugal, Italien, Irland und Spanien müssen wegen ihrer hohen Verschuldung schon viel mehr Zinsen als etwa Deutschland bieten, um am Kapitalmarkt noch Geld aufzunehmen. Droht ein Flächenbrand im Euroraum?

Nein, einen Flächenbrand erwarte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Griechenland steht für 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Damit kann man eine Währung nicht in den Abgrund stossen, selbst wenn man Griechenland bankrott gehen lassen würde. In dem Fall könnte man sogar sagen, das «Problem» ist gelöst. Die Finanzmärkte wüssten, woran sie sind, die Zweifel wären weg. Und wenn das passieren würde, warum sollte dann gerade am nächsten Tag Portugal oder Spanien pleite gehen? Sicher, auch diese Länder haben zwar Probleme, die werden auch mittel- bis langfristig eskalieren, aber die haben ja nicht ursächlich etwas mit den griechischen zu tun.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich dem Druck der Politik gebeugt und ein Tabu gebrochen. Erst akzeptierte sie Staatsanleihen des Pleitekandidaten Griechenland als Sicherheit, seit dieser Woche kauft sie selbst griechische Staatsanleihen. Ein notwendiger oder eher ein gefährlicher Schritt?

Das ist ein sehr gefährlicher Schritt. Bisher hat die EZB solchen Forderungen, die Notenpresse anzuwerfen, stets widerstanden. Wenn sie jetzt solche Anleihen kauft, muss sie ja Geld schöpfen. Sie hat es ja auch nicht unbegrenzt. Das ist ein fundamentaler Fehler. Gemacht unter dem Druck der Politik. Die EZB hätte das von sich aus nie getan.

Das heisst, es droht eine Inflation?

Langfristig sicher ja. Aber fragen Sie nicht nach dem genauen Zeitpunkt.

Ein anderer Effekt ist, dass die EZB den Ausfall dieser Anleihen praktisch garantiert, indem sie sich bereit erklärt, sie aufzukaufen, egal, wie schlecht die Rückzahlungswahrscheinlichkeit eingeschätzt wird. Auch Deutschland garantiert seinen Banken die Rückzahlung von griechischen Anleihen. Normalerweise tragen ja die Banken selbst das Risiko, wenn sie Geld an schlechte Schuldner verleihen. Jetzt kassieren sie hohe Zinsen und tragen keinerlei Risiko.

Was da jetzt passiert, ist in der Tat absurd. Man nimmt den griechischen Gläubigern das Risiko ab. Einen ähnlichen Effekt haben die Kreditausfallversicherungen. All das führt letztlich dazu, dass sich die Staaten viel stärker verschulden können, als wenn die Banken tatsächlich mit einem Ausfall rechnen müssten. Dann bekämen einige Staaten schon lange kein Geld mehr.

Was bedeutet das alles langfristig für den Euro, die Währungsunion und Europa?

Da gibt es viele Szenarien von der kleinen Störung bis zum Weltuntergang. Ich glaube nicht an ein Horrorszenario. Warum sollte die Europäische Union auseinanderfallen? Dazu gibt es politisch überhaupt keine Alternative. Und der Euro wird überleben, auch wenn vier oder fünf Staaten pleitegehen. Das ist dann eher ein Problem dieser Staaten als eines des Euro. Der Euro lässt sich nicht so einfach abschaffen. Vorstellbar wäre, einige marode Länder von der Währungsunion abzukoppeln.

Ihr neues Buch heisst «Staatsbankrott» und das macht insgesamt wenig Hoffnung. Eines der Kapitel heisst «Der Countdown läuft», gemeint ist der langfristige Staatsbankrott. Nicht nur der von Staaten, die derzeit im Fokus stehen. Was passiert, wenn wirklich Bankrotte eintreten?

Wenn verschiedene Staaten tatsächlich zahlungsunfähig werden, geraten Banken und Versicherungen erneut unter Druck und die Länder werden dann in noch viel stärkerem Masse eingreifen als bei der Finanzkrise 2008. Dann explodieren bei diesen Staaten die Staatsschulden. Ich sehe da keine guten Jahre auf uns zukommen. Die Wirtschaft hat sich erst leicht erholt. Sie kann nochmals so tief fallen wie 2008 oder noch tiefer. Diese Krise, die wir jetzt erleben, hat erst angefangen.


Ein «permanentes Phänomen» namens Verschuldung

Bankrotte sind nichts Neues, schreibt Walter Wittmann in seinem neuen Buch: «Sie sind fast so alt wie die Menschheit.» Das gilt auch für Staaten. Die Schuldenkrise rund um Griechenland und andere Euro-Staaten ist nicht vom Himmel gefallen.

Frankreich, Spanien und Portugal in der Renaissance, Frankreich nochmals zur Zeit der Revolution, schliesslich Russland am Ende des Ersten Weltkriegs: Staatsbankrotte sind bei näherem Hinsehen auch in Europa keine Seltenheit, wie der emeritierte Wirtschaftsprofessor Walter Wittmann aus Bad Ragaz in seinem ab heute erhältlichen Buch «Staatsbankrott» plastisch und anhand zahlreicher Beispiele beschreibt.

Das angesichts starken Wachstums und steigenden Wohlstands in Westeuropa in den vergangenen Jahrzehnten fast in Vergessenheit geratene Phänomen spielt sich nicht nur in fernen Länder wie Kolumbien ab, dass zwischen 1820 und 1916 genau 33 mal pleiteging: Vor allem die Schulden des Zweiten Weltkrieges trieben auch europäische Staaten in die Schuldenkrise. Dieser entkamen sie mit den bekannten Massnahmen: entweder auf italienisch mittels Hyperinflation, auf französisch mittels Abwertung oder auf deutsch mittels Währungsreform.

Feldzug in die Schuldenfalle
Meist waren es Kriege, die Staaten in die Schuldenfalle trieben. Die aktuelle Krise um Griechenland, Portugal, Irland, Island, Spanien und andere hat nach Wittmanns Einschätzung andere Ursachen. Einen Grundstein habe das «goldene Zeitalter der Verschuldung» der Nachkriegszeit gelegt, das Schuldenmachen unter Finanzministern auch in Friedenzeiten so richtig en vogue werden liess: «Schuldenmachen auch für laufende Ausgaben wurde zu einem permanenten Phänomen», schreibt Wittmann. Dank florierender Volkswirtschaften war das zunächst kein Problem, bis mit der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre in Europa das erste böse Erwachen kam.

Problem Wohlfahrtsstaat
Zum prominentesten Posten des «Schuldenmachens für laufende Ausgaben» sei inzwischen in zahlreichen Staaten der Wohlfahrtsstaat geworden, für Wittmann ein «System organisierter Verantwortungslosigkeit» und «Fass ohne Boden». In Wittmanns Analyse avanciert der Wohlfahrtsstaat zum eigentlichen Katalysator derVerschuldung: In vielen Staaten liegen
die Schulden der Sozial-, Renten- und Krankenkassen bereits weit höher als die Schulden des Staates selbst – geradestehen muss er am Ende aber auch für diese.

Die internationale Finanzkrise hat die Verschuldung der Staaten noch weiter angeheizt: Die billionenschweren Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme lasten schwer auf den ohnehin schon defizitären Etats.

Wittmanns Prognose ist nüchtern und ernüchternd: Für die meisten Staaten sei der «Point of no return» bereits erreicht. Selbst wenn der Sozialstaat radikal zurückgefahren würde, wie Wittmann es fordert, aber angesichts der abzusehenden Proteste nicht erwartet, wäre es schon zu spät.

Der letzte Sargnagel im Staatshaushalt der Euroländer ist für Wittmann die Schuldenkrise, für die sich die Eurostaaten nun weiter verschulden, um die Pleitekandidaten unter ihnen nicht pleitegehen zu lassen: «Das Ende ist absehbar: Es kommt auf Dauer zum allgemeinen Staatsbankrott.»

Nichts für schwache Nerven
Wittmanns «Staatsbankrott» ist nichts für schwache Nerven. Gerade weil er sein beängstigendes Zukunftsszenario stets mit Zahlen belegen kann. «Staatsbankrott» ist ein profunder Führer durch die Welt der Pleite, von dem man sich am Ende wünscht, alles sei Science Fiction. Ist es aber nicht. (wfr)

Walter Wittmann, «Staatsbankrott», Orell Füssli Verlag, ISBN 978-3-280-05374-4

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