associated press +++ bbc +++ ddp nachrichtenagentur +++ der spiegel +++ neue zürcher zeitung +++ mate
frankfurter rundschau +++ offenbach-post +++ wirtschaft regional +++ hanauer anzeiger +++
the new yorker +++ film & tv kameranmann +++ blickpunkt +++ fpc-magazin +++ medium-magazin
journalist +++ nachrichten parität +++ up! szeneguide +++ ffh +++ bgb infom@il +++
linie
linie
leseprobewirtschaft

in liechtenstein können die retrozessionen munter weiter fließen. schwerpunktthema in wirtschaft regional

retrozessionen

6. Oktober 2007

Weihnachten für die Banken

Die Finanzlobby hat ganze Arbeit geleistet. Ohne Not hat die Politik bei der Umsetzung der EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid zivilrechtliche Regelungen getroffen, die dem umstrittenen System der Retrozessionen eine rechtliche Grundlage gibt.

Von Wolfgang Frey

Vaduz. – Liechtensteins Banker und Vermögensverwalter haben erreicht, wovon ihre Kollegen in den Nachbarländern nur träumen können: Sie dürfen Provisionen, die eigentlich den Kunden zustehen, unter gewissen Voraussetzungen künftig ganz legal kassieren und müssen keine Angst mehr davor haben, dass Anleger auf ihre Herausgabe klagen.

Entsprechende deutsche und Schweizer Urteile hatten die Finanzbranche im vergangenen Jahr in Angst und Schrecken versetzt: Banken sahen sich potenziellen zivilrechtlichen Herausgabeklagen in Milliardenhöhe gegenüber.

Automatischer Verzicht
Für solche Klagen gibt es in Liechtenstein ab dem 1. November zumindest für Neugeschäfte keine Grundlage mehr. Im Windschatten der Mifid-Umsetzung verabschiedete der Landtag in seiner September-Sitzung von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt auch eine Änderung des Zivilrechts: Wenn Kunden hierzulande künftig einen Vermögensverwalter oder eine Bank mit einer Transaktion beauftragen, treten sie danach automatisch nicht nur allfällige eigentlich ihnen zustehende Provisionen ab, sie verzichten gleichzeitig auch auf ihr Klagerecht auf Herausgabe – vorausgesetzt, sie werden nach Mifid-Standards über diese Provisionen informiert.

Für Treuhänder gilt diese neue Regel übrigens nicht. Die Treuhändervereinigung hatte vehement, aber vergeblich dafür gestritten.

Treuhänder aussen vor
Regierungschef Otmar Hasler erklärte seine ablehnende Haltung im Landtag so: «Warum hier nicht alle regulierten Finanzintermediäre berücksichtigt wurden, ist einfach zu erklären. Es handelt sich hier bei diesen Gesetzesvorhaben um die Umsetzung von Mifid und Basel II, also unmittelbar betroffen davon sind Banken und Wertpapierfirmen.»

Der Tübinger Rechtsanwalt Andreas Tilp, der eines der entscheidenden Urteile zu Provisionen erstritten hat, widerspricht: Die Mifid zwinge «kein Land der Welt, auch nicht Liechtenstein»,etwas am Zivilrecht zu ändern: «Das sind zwei paar Stiefel.»

Mifid gebe bezüglich der Retrozessionen lediglich Offenlegungspflichten vor, die zivilrechtliche Frage, wem sie gehören, «bleibt davon völlig unberührt». «Einmalig in Europa» Gesetzgebungstechnisch sei der automatische Verzicht auf Provisionen «in Europa wahrscheinlich einmalig», sagt Tilp.«Ich finde es schon komisch, dass Mifid in Liechtenstein als trojanisches Pferd benutzt wurde, um Interessengruppen etwas Gutes zu tun».

Michael Lauber, Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbands, mag der Argumentation rein juristisch nicht grundsätzlich widersprechen. Dennoch hänge aus seiner Sicht beides zusammen, sagt er. Die Mifid regele mit ihren Offenlegungspflichten schliesslich auch, wann Retrozessionen zulässig seien.

«Rechtssicherheit für die Parteien»
«Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ist es dann auch erforderlich, die andere Seite der Medaille – die Herausgabepflicht – rechtssicher für die Parteien zu lösen», so Lauber. «Provisionen sind nach Mifid zulässig; wir können das System jetzt so weiterführen, aber unter klaren rechtlichen Voraussetzungen.»



«Zementierung einer Unsitte»

Die umstrittenen Provisionen werden in Liechtensteins Finanzwelt weiter fliessen. Ganz legal und auf gesetzlicher Grundlage. So hat es der Landtag beschlossen. Kritiker sprechen von einer «extrem bankenfreundlichen» Regelung.

Von Wolfgang Frey

Der Zürcher Wirtschaftsanwalt Daniel Fischer formuliert es so: «Liechtenstein gibt ein sehr, sehr problematisches Signal. Während Deutschland und die Schweiz dabei sind, die Retrozessionspraxis zu beenden, gibt man dem Ganzen in Liechtenstein eine Rechtsformel, damit man nicht nur so weitermachen kann, wie bisher, sondern besser als je zuvor.»

Die Rechtsformel wird sich ab 1. November weit hinten im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) finden. Seit 1811 bestimmt dort Paragraph 1009, wem Provisionen gehören, die Banken,Vermögensverwalter, Fondsgesellschaften und andere Finanzmarktakteure für die Vermittlung von Kundengeldern kassieren: dem Kunden. «Emsig, redlich und fleissig», heisst es dort, müssen Banken und Vermögensverwalter ihre Geschäfte ihrem «Versprechen und der erhaltenen Vollmacht entsprechend» besorgen und ihren Kunden «allen aus dem Geschäfte entspringenden Nutzen (...) überlassen».

Ausdrücklicher Verzicht
Letztlich, sagt Fischer, fasse Paragraph 1009 den Schweizer Bundesgerichtsentscheid von 2006 «knapp und treffend» zusammen. Das Urteil hatte die Finanzwelt heftig aufgeschreckt: Provisionen,
so die Lausanner Richter, gehören dem Kunden. Behalten dürfen Banken und Vermögensverwalter
sie nur dann, wenn der Kunde ausdrücklich auf sie verzichtet hat. Dazu müsse er aber wissen, so die Richter, wie hoch diese Provisionen seien. Er könne nur auf etwas verzichten, wenn er genau wisse, worauf. Diese Information blieben viele Finanzmarktakteure ihren Kunden bislang aber schuldig. Vermögensverwalter und Banken wurden entsprechend nervös. Die Furcht ging um vor milliardenschweren Rückforderungen - gestützt auf auftragsrechtliche Vorschriften wie den liechtensteiner Paragraphen 1009 ABGB oder sinngemäss lautende Vorschriften im Schweizer und im deutschen Recht.

Die Liechtensteiner Banken, Vermögensverwalter und Wertpapierfirmen können zumindest für künftige Geschäfte davon ausgehen, von solchen Rückforderungen verschont zu bleiben. Denn Paragraph 1009 ABGB bekommt am 1. November Zuwachs. Wirtschaftsanwalt Fischer spricht mit
Blick auf den neuen Paragraphen 1009a von einer «potenten und sehr problematischen Ausnahmeregelung».

Der liechtensteinische Bankenombudsmann formuliert es anders: «In erster Linie ist das als Ausnahme von der Grundregel die Schaffung vermehrter Rechtssicherheit für Banken und Vermögensverwalter», sagt Peter Wolff. Zustandegekommen sei die Gesetzesänderung «vor allem
auf Wunsch der Banken».

Der fragliche neue Paragraph 1009a legt fest, dass Kunden von Banken, Vermögensverwaltern und Wertpapierfirmen unter bestimmten Bedingungen nicht ausdrücklich auf die ihnen zustehenden Retrozessionen verzichten müssen. Werden Kunden vor der Ausführung des Geschäfts «korrekt über die dabei anfallenden Provisionen informiert, heisst es dort, können Banken,Vermögensverwalter und Wertpapierfirmen «davon ausgehen», dass der Kunde ihnen gegenüber «auf die Herausgabe allfälliger von Dritten empfangener oder noch zu empfangender Gebühren, Provisionen oder nicht in Geldform angebotener Zuwendungen sowie auf die Geltendmachung zivilrechtlicher Ersatzansprüche in Bezug auf diese Zuwendungen
verzichtet hat.»

Automatischer Verzicht
Im Klartext: Wird ein Kunde «korrekt» über die Provisionen informiert und lässt er anschliessend das infrage stehende Geschäft ausführen, tritt er allfällige Provisionen automatisch ab und verzichtet auf sein Recht, sie später einzuklagen. Bereits geflossene Provisionen können Kunden nach Paragraph 1009 ABGB zwar weiterhin einklagen, bei jedem neuen Geschäft verzichten sie auf diese Möglichkeit jedoch bereits mit dem Auftrag für die Transaktion.

«Extrem bankenfreundlich»
«Das wäre das, was die deutschen Banken auch gerne hätten», sagt der Tübinger Anwalt Andreas Tilp. Er hatte 2006 für eine Mandantin einen aufsehenerregenden Prozess um Retrozessionen vor dem deutschen Bundesgerichtshof (BGH) gewonnen.

Die Liechtensteiner Regelung sei «extrem bankenfreundlich». In Deutschland gebe es den Liechtensteiner Automatismus der Abtretung von Retrozessionen beispielsweise nicht: Der durch die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid initiierte entsprechende neue Artikel im deutschen Wertpapierhandelsgesetz fordere «von den Banken zwar auch die Offenlegung der Provisionen, sie dürfen sie allerdings nach wie vor nur behalten, wenn der Kunde dem zustimmt.»

In der öffentlichen Diskussion in Liechtenstein, seitens der Branche und im Landtag, wurde allerdings zumeist der Eindruck erweckt, auch Paragraph 1009a ABGB stehe in zwingendem
Zusammenhang mit der Mifid-Umsetzung. Juristen widersprechen: «Wegen Mifid wäre diese Änderung im ABGB nicht nötig gewesen», sagt etwa die Schweizer Juristin Monika Roth. Schlussendlich führe diese aus Bankensicht grosszügige Regelung in der Praxis zur «Zementierung der Unsitte der Retrozessionen».

Selbst wenn man wisse, dass Retrozessionen fliessen und diese nach den neuen Transparenzstandards – an dieser Stelle kommen in der Tat die Mifid-Regeln ins Spiel – offengelegt werden müssten, würden damit Interessenkonflikte in der Praxis nicht unterbunden,
diese seien aber «grundsätzlich zu vermeiden.» Die Rechtssprechung in Deutschland und der
Schweiz hätte «Anlass geben können, diese Praxis zu beenden und neue Vergütungsmodelle zu entwickeln: Wenn keine Provisionen mehr flössen und die Kunden für eine Beratung bezahlten,
wäre der Interessenkonflikt von vornherein ausgeräumt.»

Dem Mandatsverhältnis zwischen Bank oder Vermögensverwalter und Kunde sei schliesslich immanent, dass das alleinige Interesse des Kunden zu wahren sei. «Das wird aber nicht
mehr garantiert,wenn ich von Dritten für die gleiche Transaktion Geld bekomme », sagt Roth.

«Doppeltes Kassieren»

Wirtschaftsanwalt Daniel Fischer formuliert es mit Blick auf die Liechtensteiner Neuregelung so: «Das doppelte Kassieren wird damit zum Normalfall und wer das nicht akzeptiert, wird sein Geld am Ende nicht mehr anlegen können.» Denn einen Ausweg aus diesem Prozedere und dm System
der Retrozessionen gibt es für den Kunden in der Praxis nicht. «Der Kunde wird indirekt gezwungen, mitzumachen », sagt der Jurist Fischer. In Juristenkreisen ist bereits von «indirekter
Nötigung» die Rede.

«Unlautere Praxis»
In Liechtenstein haben Bankkunden zuletzt viel Post bekommen. Die Banken haben angesichts der Gesetzesnovelle neue AGBs formuliert. Auf den ersten Blick geht es dabei um die EUFinanzmarktrichtlinie Mifid, die für mehr Transparenz und Anlegerschutz sorgen soll.

In den neuen AGBs finden sich aber auch Hinweise auf den neuen Paragraphen 1009a ABGB. So heisst es etwa bei der Liechtensteinischen Landesbank und der LGT Bank in Liechtenstein
gleichlautend: «Verlangt der Kunde keine weiteren Einzelheiten vor Erbringung der Dienstleistung
oder bezieht er die Dienstleistung nach Einholung weiterer Einzelheiten, verzichtet er auf einen allfälligen Herausgabeanspruch im Sinne von § 1009 ABGB.»

Solche Formulierungen zeigten, «dass alle Akteure offenbar ein grosses Interesse daran haben, die unlautere Praxis zu zementieren», sagt Anwältin Roth. Und in der Liechtensteiner Finanzwelt ist es auch kein Geheimnis, dass die Regelung vor allem auf Druck der Banken und Vermögensverwalter zustande kam. «Die waren schon sehr nervös», sagt der
Bankenombudsmann Wolff.




Retrozessionen: Schmiermittel der Finanzbranche

Höchstrichterliche Urteile schienen die Praxis der Retrozessionen zum Auslaufmodell zu machen. In Liechtenstein bleibt das System allerdings zum grossen Teil intakt.

Vaduz. – Jahrzehntelang ging alles gut am Rande der Legalität. Zahlreiche Vermögensverwalter kassierten heimlich Provisionen von den Banken, wenn sie ihnen solvente Kunden brachten. Viele Banken wiederum kassierten Provisionen von Fondsgesellschaften, wenn sie ihren Kunden deren Fonds verkauften. Und so weiter und so fort.

Viele dieser Provisionen standen eigentlich den Kunden selbst zu, doch die bekamen sie in den meisten Fällen nie zu Gesicht. Stattdessen schmierten sie als «Kick-Backs» oder «Retrozessionen», «Finder’s Fees» oder «Bestandsprovisionen» den Kreislauf der Finanzwirtschaft und sie schmierten ihn gut: Bei Vermögensverwaltern machten diese Zusatzeinnahmen nicht selten mehr als ein Drittel ihres Einkommens aus.

Diese zwar illegale, aber doch stillschweigende und jahrelang geduldete verbreitete Praxis flog erst auf, als eine Liechtensteiner Stiftung ihren Vermögensverwalter auf Herausgabe dieser Provisionen verklagte, die Sache bis vors Bundesgericht in Lausanne zog und dort vor anderthalb Jahren einen bemerkenswerten Sieg errang: Ein Vermögensverwalter, erklärten die Richter, dürfe diese Provisionen nur behalten, sofern der Kunde ausdrücklich auf sie verzichtet habe. Dazu müsse er aber wissen, worauf er verzichtet. Ergo müsse er die Summen kennen.

Tabubruch erster Güte
Für die Finanzwelt ein Tabubruch erster Güte. Über Provisionen wird ungern gesprochen, über ihre Höhe schon gar nicht und viele, die diese Provisionen ihren Kunden hätten offenlegen müssen, taten es schlicht nicht.Im Frühjahr 2007 wurde ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Vorjahr veröffentlicht und erschütterte die Branche: Der BGH verurteilte eine Bank wegen verschwiegener Provisionen nicht nur zu Herausgabe dieser Beträge, sondern obendrein auch noch zum Ersatz der bei der betreffenden Anlage entstandenen Verluste.

In der etwas weniger prozessfreudigen Schweiz begannen Anwälte damit, für ihre Mandanten Vergleiche zu schliessen. Das lieb gewonnene System der Retrozessionen, so der allgemeine Eindruck, begann dort wie in Deutschland zum Auslaufmodell zu werden.

Die Nachteile dieses Systems liegen auf der Hand: Wo Provisionen zum Beispiel für die Vermittlung von Geschäften fliessen, entstehen Interessenkonflikte. Der Kunde darf sich zu Recht fragen, ob ihm zum Beispiel von einer Bank allein deshalb ein bestimmtes Anlageprodukt empfohlen wird, weil es gut rentiert oder ob bei der Empfehlung auch die Vermittlungsprovision eine Rolle spielt, die dabei für die Bank herausspringt.

In Liechtenstein zumindest bleibt dieses System intakt. Der Kunde muss zwar informiert werden, wenn Provisionen fliessen und er hat auch ein Recht darauf, ihre Höhe zu erfragen. Anschliessend wird er sie in der Praxis aber wohl abtreten müssen.

Und welche Antworten ein Kunde schlussendlich auf Fragen nach der Höhe der Provisionen bekommt, wird wahrscheinlich vor allem eine Frage seiner individuellen Hartnäckigkeit sein. (wfr)




zurück zum
überblick
<<<