«Zementierung einer Unsitte»
Die umstrittenen Provisionen werden in Liechtensteins Finanzwelt weiter fliessen. Ganz legal und auf gesetzlicher Grundlage. So hat es der Landtag beschlossen. Kritiker sprechen von einer «extrem bankenfreundlichen» Regelung.
Von Wolfgang Frey
Der Zürcher Wirtschaftsanwalt Daniel Fischer formuliert es so: «Liechtenstein gibt ein sehr, sehr problematisches Signal. Während Deutschland und die Schweiz dabei sind, die Retrozessionspraxis zu beenden, gibt man dem Ganzen in Liechtenstein eine Rechtsformel, damit man nicht nur so weitermachen kann, wie bisher, sondern besser als je zuvor.»
Die Rechtsformel wird sich ab
1. November weit hinten im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) finden. Seit 1811 bestimmt dort Paragraph 1009, wem Provisionen gehören, die Banken,Vermögensverwalter, Fondsgesellschaften und andere Finanzmarktakteure für die Vermittlung von Kundengeldern kassieren: dem Kunden. «Emsig, redlich und fleissig», heisst es dort, müssen Banken und Vermögensverwalter ihre Geschäfte ihrem «Versprechen und der erhaltenen Vollmacht entsprechend» besorgen und ihren Kunden «allen aus dem Geschäfte entspringenden Nutzen (...) überlassen».
Ausdrücklicher Verzicht
Letztlich, sagt Fischer, fasse Paragraph
1009 den Schweizer Bundesgerichtsentscheid
von 2006 «knapp und treffend» zusammen. Das Urteil hatte die
Finanzwelt heftig aufgeschreckt: Provisionen,
so die Lausanner Richter,
gehören dem Kunden. Behalten dürfen
Banken und Vermögensverwalter
sie nur dann, wenn der Kunde ausdrücklich
auf sie verzichtet hat. Dazu
müsse er aber wissen, so die Richter,
wie hoch diese Provisionen seien. Er
könne nur auf etwas verzichten, wenn
er genau wisse, worauf.
Diese Information blieben viele Finanzmarktakteure
ihren Kunden bislang
aber schuldig. Vermögensverwalter
und Banken wurden entsprechend
nervös. Die Furcht ging um vor milliardenschweren
Rückforderungen -
gestützt auf auftragsrechtliche Vorschriften
wie den liechtensteiner Paragraphen
1009 ABGB oder sinngemäss
lautende Vorschriften im
Schweizer und im deutschen Recht.
Die Liechtensteiner Banken, Vermögensverwalter
und Wertpapierfirmen
können zumindest für künftige
Geschäfte davon ausgehen, von solchen
Rückforderungen verschont zu
bleiben. Denn Paragraph 1009 ABGB
bekommt am 1. November Zuwachs.
Wirtschaftsanwalt Fischer spricht mit
Blick auf den neuen Paragraphen
1009a von einer «potenten und sehr
problematischen Ausnahmeregelung».
Der liechtensteinische Bankenombudsmann
formuliert es anders: «In erster Linie ist das als Ausnahme von der Grundregel die Schaffung
vermehrter Rechtssicherheit für Banken und Vermögensverwalter»,
sagt Peter Wolff. Zustandegekommen sei die Gesetzesänderung «vor allem
auf Wunsch der Banken».
Der fragliche neue Paragraph 1009a
legt fest, dass Kunden von Banken,
Vermögensverwaltern und Wertpapierfirmen
unter bestimmten Bedingungen
nicht ausdrücklich auf die
ihnen zustehenden Retrozessionen verzichten
müssen. Werden Kunden vor
der Ausführung des Geschäfts «korrekt
über die dabei anfallenden Provisionen
informiert, heisst es dort,
können Banken,Vermögensverwalter
und Wertpapierfirmen «davon ausgehen», dass der Kunde ihnen gegenüber «auf die Herausgabe allfälliger
von Dritten empfangener oder noch
zu empfangender Gebühren, Provisionen
oder nicht in Geldform angebotener
Zuwendungen sowie auf die Geltendmachung zivilrechtlicher Ersatzansprüche
in Bezug auf diese Zuwendungen
verzichtet hat.»
Automatischer Verzicht
Im Klartext: Wird ein Kunde «korrekt» über die Provisionen informiert
und lässt er anschliessend das infrage
stehende Geschäft ausführen, tritt er
allfällige Provisionen automatisch ab
und verzichtet auf sein Recht, sie später
einzuklagen. Bereits geflossene
Provisionen können Kunden nach Paragraph
1009 ABGB zwar weiterhin
einklagen, bei jedem neuen Geschäft
verzichten sie auf diese Möglichkeit
jedoch bereits mit dem Auftrag für die
Transaktion.
«Extrem bankenfreundlich»
«Das wäre das, was die deutschen
Banken auch gerne hätten», sagt der
Tübinger Anwalt Andreas Tilp. Er hatte
2006 für eine Mandantin einen aufsehenerregenden
Prozess um Retrozessionen
vor dem deutschen Bundesgerichtshof (BGH) gewonnen.
Die
Liechtensteiner Regelung sei «extrem
bankenfreundlich». In Deutschland
gebe es den Liechtensteiner Automatismus
der Abtretung von Retrozessionen
beispielsweise nicht: Der
durch die EU-Finanzmarktrichtlinie
Mifid initiierte entsprechende neue
Artikel im deutschen Wertpapierhandelsgesetz
fordere «von den Banken
zwar auch die Offenlegung der Provisionen,
sie dürfen sie allerdings nach
wie vor nur behalten, wenn der Kunde
dem zustimmt.»
In der öffentlichen Diskussion in
Liechtenstein, seitens der Branche
und im Landtag, wurde allerdings zumeist
der Eindruck erweckt, auch Paragraph
1009a ABGB stehe in zwingendem
Zusammenhang mit der Mifid-Umsetzung. Juristen widersprechen: «Wegen Mifid wäre diese Änderung
im ABGB nicht nötig gewesen»,
sagt etwa die Schweizer Juristin Monika
Roth. Schlussendlich führe diese
aus Bankensicht grosszügige Regelung
in der Praxis zur «Zementierung
der Unsitte der Retrozessionen».
Selbst wenn man wisse, dass Retrozessionen
fliessen und diese nach den
neuen Transparenzstandards – an dieser
Stelle kommen in der Tat die Mifid-Regeln ins Spiel – offengelegt werden
müssten, würden damit Interessenkonflikte
in der Praxis nicht unterbunden,
diese seien aber «grundsätzlich
zu vermeiden.» Die Rechtssprechung
in Deutschland und der
Schweiz hätte «Anlass geben können, diese Praxis zu beenden und neue
Vergütungsmodelle zu entwickeln:
Wenn keine Provisionen mehr flössen
und die Kunden für eine Beratung bezahlten,
wäre der Interessenkonflikt
von vornherein ausgeräumt.»
Dem Mandatsverhältnis zwischen
Bank oder Vermögensverwalter und
Kunde sei schliesslich immanent, dass
das alleinige Interesse des Kunden zu
wahren sei. «Das wird aber nicht
mehr garantiert,wenn ich von Dritten
für die gleiche Transaktion Geld bekomme », sagt Roth.
«Doppeltes Kassieren»
Wirtschaftsanwalt Daniel Fischer formuliert
es mit Blick auf die Liechtensteiner
Neuregelung so: «Das doppelte
Kassieren wird damit zum Normalfall
und wer das nicht akzeptiert, wird
sein Geld am Ende nicht mehr anlegen
können.» Denn einen Ausweg aus
diesem Prozedere und dm System
der Retrozessionen gibt es für den
Kunden in der Praxis nicht. «Der Kunde
wird indirekt gezwungen, mitzumachen », sagt der Jurist Fischer. In Juristenkreisen
ist bereits von «indirekter
Nötigung» die Rede.
«Unlautere Praxis»
In Liechtenstein haben Bankkunden
zuletzt viel Post bekommen. Die Banken
haben angesichts der Gesetzesnovelle
neue AGBs formuliert. Auf den
ersten Blick geht es dabei um die EUFinanzmarktrichtlinie
Mifid, die für
mehr Transparenz und Anlegerschutz
sorgen soll.
In den neuen AGBs finden sich aber
auch Hinweise auf den neuen Paragraphen
1009a ABGB. So heisst es etwa
bei der Liechtensteinischen Landesbank
und der LGT Bank in Liechtenstein
gleichlautend: «Verlangt der
Kunde keine weiteren Einzelheiten
vor Erbringung der Dienstleistung
oder bezieht er die Dienstleistung
nach Einholung weiterer Einzelheiten,
verzichtet er auf einen allfälligen
Herausgabeanspruch im Sinne von § 1009 ABGB.»
Solche Formulierungen zeigten, «dass alle Akteure offenbar ein grosses
Interesse daran haben, die unlautere
Praxis zu zementieren», sagt Anwältin
Roth. Und in der Liechtensteiner
Finanzwelt ist es auch kein Geheimnis,
dass die Regelung vor allem
auf Druck der Banken und Vermögensverwalter
zustande kam. «Die
waren schon sehr nervös», sagt der
Bankenombudsmann Wolff.
Retrozessionen: Schmiermittel der Finanzbranche
Höchstrichterliche Urteile schienen die Praxis der Retrozessionen zum Auslaufmodell zu machen. In Liechtenstein bleibt das System allerdings zum grossen Teil intakt.
Vaduz. – Jahrzehntelang ging alles gut am Rande der Legalität. Zahlreiche Vermögensverwalter kassierten heimlich Provisionen von den Banken, wenn sie ihnen solvente Kunden brachten. Viele Banken wiederum kassierten Provisionen von Fondsgesellschaften, wenn sie ihren Kunden deren Fonds verkauften. Und so weiter und so fort.
Viele dieser Provisionen standen eigentlich den Kunden
selbst zu, doch die bekamen sie in den meisten Fällen nie zu Gesicht. Stattdessen schmierten sie als «Kick-Backs» oder «Retrozessionen», «Finder’s Fees» oder «Bestandsprovisionen» den Kreislauf der Finanzwirtschaft und sie schmierten ihn gut: Bei Vermögensverwaltern machten diese Zusatzeinnahmen nicht selten mehr als ein Drittel ihres Einkommens aus.
Diese zwar illegale, aber doch stillschweigende und jahrelang geduldete verbreitete Praxis flog erst auf, als eine Liechtensteiner Stiftung ihren Vermögensverwalter auf Herausgabe dieser Provisionen verklagte, die Sache bis vors Bundesgericht in Lausanne zog und dort vor anderthalb Jahren einen bemerkenswerten Sieg errang:
Ein Vermögensverwalter, erklärten die Richter, dürfe diese Provisionen nur behalten, sofern der Kunde ausdrücklich auf sie verzichtet habe. Dazu müsse er aber wissen, worauf er verzichtet. Ergo müsse er die Summen kennen.
Tabubruch erster Güte
Für die Finanzwelt ein Tabubruch erster Güte. Über Provisionen wird ungern gesprochen, über ihre Höhe schon gar nicht und viele, die diese Provisionen ihren Kunden hätten offenlegen müssen, taten es schlicht nicht.Im Frühjahr 2007 wurde ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Vorjahr veröffentlicht und erschütterte die Branche: Der BGH verurteilte eine Bank wegen verschwiegener Provisionen nicht nur zu Herausgabe dieser Beträge, sondern obendrein auch noch zum Ersatz der bei der betreffenden Anlage entstandenen Verluste.
In der etwas weniger prozessfreudigen Schweiz begannen Anwälte damit, für ihre Mandanten Vergleiche zu schliessen. Das lieb gewonnene System der Retrozessionen, so der allgemeine Eindruck, begann dort wie in Deutschland zum Auslaufmodell zu werden.
Die Nachteile dieses Systems liegen auf der Hand: Wo Provisionen zum Beispiel für die Vermittlung von Geschäften fliessen, entstehen Interessenkonflikte. Der Kunde darf sich zu Recht fragen, ob ihm zum Beispiel
von einer Bank allein deshalb ein bestimmtes Anlageprodukt empfohlen wird, weil es gut rentiert oder ob bei der Empfehlung auch die Vermittlungsprovision eine Rolle spielt, die dabei für die Bank herausspringt.
In Liechtenstein zumindest bleibt dieses System intakt. Der Kunde muss zwar informiert werden, wenn Provisionen fliessen und er hat auch ein Recht darauf, ihre Höhe zu erfragen. Anschliessend wird er sie in der Praxis aber wohl abtreten müssen.
Und welche Antworten ein Kunde schlussendlich auf Fragen nach der Höhe der Provisionen bekommt, wird wahrscheinlich vor allem eine Frage seiner individuellen Hartnäckigkeit sein. (wfr)
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