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zwischen high-tech und blechhütte: ein besuch bei kayed alatamen in der israelischen negev-wüste. sommer 2003

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Von der Wellblechütte ins Medizinlabor
Der Ausnahme-Beduine Kayed Alatamen

Von Wolfgang Frey

Beer-Sheva. - Kayed Alatamen ist ein Berufspendler zwischen zwei Welten. Wenn er morgens seine Wellblechhütte verlässt, kommt er an einem Verschlag mit gut zwanzig Schafen vorbei. Mit ihnen verdienen ein paar seiner zehn Brüder ihr Geld. Bei den Beduinen in der israelischen Negev-Wüste hat Schafzucht Tradition. Kurz nach den Schafen schlägt Alatamen das Lenkrad nach rechts ein, holpert fünf Minuten im Schritttempo über die steinige Piste zur vierspurigen Landstraße und gibt Gas. Im rund 15 Kilometer entfernten Beer-Sheva, in den Labors der Ben-Gurion-Universität, wartet Arbeit auf ihn.

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"Ich glaube, dass meine Brüder schon ein bisschen stolz auf mich sind", sagt er. Der 24 Jahre alte Student mit einem Job an der pharmazeutischen Fakultät bringt jeden Monat rund 500 US-Dollar heim in das Wüstendorf Khashem Zaneh. Weit mehr als seine zehn Brüder. Einige haben Arbeit beim Straßenbau gefunden, andere in Fabriken in der Stadt. "Aber viele von uns haben keine Arbeit", sagt Alatemen. Und fast alle leben am Rande der Illegalität oder mittendrin.

Rund 150.000 Beduinen, sagt er, leben in der steinigen Wüste im Süden Israels. Die Hälfte davon in den sieben "anerkannten" Beduinenstädten, die anderen in "nicht anerkannten" Siedlungen. "Ja", sagt er, das ist das gleiche wie 'illegal'". Und deshalb "haben wir zwar einen israelischen Pass, aber wir haben hier keine Straßen, keinen Strom, keine Wasserleitung."

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Ihre Häuser sind Verschläge aus Holzbalken, Dachpappe und Wellblech. Keine Zelte aus bunten Stoffen, keine Stück Nomadenromatik. Aus dem, was andere nicht mehr brauchen, bauen sie Hühner- und Taubenställe und lassen viel Platz zwischen allem. Alatamens rund 900 Menschen zählendes Heimatdorf erstreckt sich über mehrere Hügel, dazwischen steinige Areale auf denen fast nichts gedeiht, nur ab und an im Frühjahr. Rund 200 Millimeter Regen, sagt Alatamen, fällt dort im Schnitt pro Jahr. Dann wächst das Gras, das sie zu Ballen formen, Futter für die Schafe in den trockenen Sommern.

Seine Hütte mag Alatamen nicht zeigen. Besucher aus der westlichen Zivilisation bewirtet seine Familie im "Empfangsraum", einer rundum offenen Hütte mit einem von Holzpfosten getragenen Wellblechdach, auf dem Boden eine deutsche "Feuerhand"-Petroleumlampe, in der Ecke ein alter Farbfernseher, die Satellitenschüssel steht 50 Meter weiter und den Strom liefert bei Bedarf ein Generator in einem Holzverschlag nebenan. An einer im Betonboden eingelassenen Feuerstelle des "Empfangsraums" stehen arabische Kaffeekannen und ein europäischer Teekessel. Alatamen bietet israelisches Mineralwasser und Limonade aus Flaschen an. Sein Bruder Anwar filmt das Geschehen mit seiner Videokamera und zeigt mit leuchtenden schwarzen Augen sein Handy.

Alatamen zeigt auf eine Staubwolke auf der Piste, die an der Siedlung vorbeiführt: "Das Militär." Manchmal, sagt er, fahren israelische Soldaten durch das Dorf, in anderen illegalen Siedlungen haben sie auch schon Häuser abgerissen. "Aber bei uns noch nicht." In der Gegend üben die Soldaten, erzählt er, aber "sie schießen nicht."

Alatamens Dorf mit Hühner-, Taubenställen und Wassertanks erinnert an ein Indianerreservat, sein arabischstämmiges, muslimisches Volk im High-Tech-Staat Isreal an eine von Verfolgung und Ausrottung bedrohte Volksgruppe. Doch dort heißt die Formel "nicht geliebt, aber geduldet". Zumindest diese Siedlung. Andere wurden von den Israelis auch schon geräumt. Und manch ein Israeli äußert ob der Fremdheit der Beduinen auch schon mal Bedenken. "Dort ist es nicht sicher", heißt es dann oft. Auf alle Fälle ist es "dort" ganz anders als in den klimatisierten Wohnungen des zivilisierten Israels.

"Kamele gibt es hier nicht viele", sagt Alatamen. Aber in letzter Zeit seien es mehr geworden. Kamele, sagt er, sind billig, genügsamer als Autos."Und ich glaube, einige wollen einfach wieder zurück zu unserer Kultur."
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"Er hat bei null begonnen", sagt Alatamens Professor Riad Agbaria über seinen "Top-Studenten". Die Prüfungen am Ende seines zweiten Jahres hat Kayed Alatamen mit 97 von 100 Punkten bestanden. In ein paar Jahren wird er einer der wenigen Beduinen mit einer Ausbildung zum Schulmediziner sein. "Ob ich das Leben hier dann aufgebe und in die Stadt gehe, weiß ich nicht", sagt Alatamen. "Das ist meine Heimat hier, mein Zuhause." Er senkt seinen Blick und fügt schüchtern hinzu: "Vielleicht irgendwann einmal". Aber was er sich im Moment wünscht, "ist, dass wir Strom und Wasser und eine Straße bekommen, all das, was für die anderen Menschen in Israel selbstverständlich ist."

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