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analyse der finanzkrise. wirtschaft regional-magazin 2009


wirtschaft regional jahresmagazin 2009

«Wie so oft hat man die Risiken unterschätzt»

Professor Manuel Ammann, Bankenexperte an der Universität St. Gallen,
über die Ursachen und Lehren der Finanzmarktkrise und
ein Liechtenstein ohne Bankgeheimnis.


Mit Manuel Ammann sprach Wolfgang Frey

Herr Professor Ammann, die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise gilt als schlimmste seit den 30er-Jahren. Damals wurde aus der Krise eine tiefe Depression. Müssen wir uns jetzt ernsthaft Sorgen machen?
Ich glaube, die grössten Sorgen liegen schon hinter uns. Der kritischste Punkt war nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers, als das internationale Bankensystem richtiggehend zusammenzubrechen drohte. Das wäre eine Katastrophe gewesen und hätte sehr gravierende Auswirkungen gehabt. Dieser totale Zusammenbruch des internationalen Banken­systems ist abgewendet und damit ist schon viel gewonnen. Das heisst natürlich nicht, dass die Krise nun vorbei ist. Jetzt kommen die realwirtschaftlichen Effekte zum Vorschein.

Es gab seit den 30er-Jahren von der Ölkrise bis zum Platzen der Dotcom-Blase oder den Einbrüchen an den Börsen nach den Terroranschlägen vom 11. September
immer wieder Krisen. Was ist anders an dieser?

Einen Beinahe-Zusammenbruch des internationalen Bankensystems gab es seit den 30er-Jahren nicht mehr. Deshalb erleben wir eine ausgeprägtere Kreditverknappung als zum Beispiel nach dem Platzen der Internetblase. Die Verknappung und Verteuerung von Krediten haben deutlich spürbare Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Neu ist auch, dass die Krise sofort weltweit spürbar war. Die Globalisierung bringt es mit sich, dass die Krise alle Teile der Erde erreicht.

Ein Unterschied zu früheren Wirtschaftskrisen liegt sicherlich auch darin, dass sie diesmal von den Finanzmärkten ausgeht. Gierige Investmentbanker stehen weltweit öffentlich am Pranger. Was ist da schiefgelaufen?
Eigentlich hatte die Krise ihren Ursprung nicht bei den Banken und auch nicht an den Finanzmärkten, sondern am US-amerikanischen Immobilienmarkt. Der Grund, warum es zu einer Bankenkrise kam, war die Schwäche des Bankensystems. Die Banken waren zu schlecht kapitalisiert, um den Preisverfall auf Immobilienmarkt und die daraus resultierenden Ausfälle auf den Hypotheken verkraften zu können. Die Folge war eine Vertrauenskrise, welche sich auf die ganze Welt ausgedehnt hat. Das wäre nicht passiert, wenn die Banken international mit mehr Eigenkapital ausgestattet gewesen wären, weil man dann mehr Vertrauen in ihre Solvenz hätte haben können.

Einige Banken haben aber auch regelrechte Kosmetik an ihren Eigenkapitalquoten betrieben. Erst haben sie in den USA Menschen ohne Sicherheiten Hypothekenkredite gegeben und das Ausfallrisiko anschliessend per Verbriefung in die ganze Welt verteilt oder in Zweckgesellschaften versteckt, sodass es in den eigenen Bilanzen nicht mehr auftauchte...
Natürlich muss einiges zusammenkommen, bis eine Krise dieses Ausmasses ausgelöst wird. Ein wichtiger Faktor war die aggressive Kreditvergabe im amerikanischen Hypothekarmarkt. Dass die Banken eine solch laxe Kreditvergabepolitik verfolgen konnten, hat verschiedene Gründe. Einerseits innovative Produkte, die den Banken erlaubt haben, viele dieser Risiken gar nicht in ihren Bilanzen zu halten, sondern weiterzugeben. So konnten sie viel mehr Ausleihungen tätigen als in der Vergangenheit. Andererseits hat die amerikanische Notenbank die Zinsen nach dem Platzen der Internetblase massiv gesenkt, es gab also sehr viel billiges Geld. Einen weiteren wichtigen Beitrag zu der Krise lieferten die beiden staatlichen US-Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Fredddie Mac, die zeitweise 50 Prozent des amerikanischen Hypothekarmarktes kontrollierten. Riesige Summen wurden da aus politischen Gründen in diesen Markt gepumpt. Auch das war eine Voraussetzung dafür, dass eine solche Blase überhaupt entstehen konnte.

So lange die Blase am Wachsen war, haben einige Banker daran ganz gut mitverdient. Man denke nur an die Schweizer UBS oder die deutsche IKB und die Hypo Real Estate. Selbst als es Warnungen genug gab, steckten einige Banker noch Geld in diesen Markt. Hat das Verlangen nach immer höheren Renditen blind gemacht?
Wie so oft hat man die Risiken unterschätzt. Man sah, dass diese verbrieften Hypotheken-Produkte höhere Renditen versprachen als andere Obligationen mit demselben Rating. Die vermeintlich sicheren Papiere konnte man mit billigen Krediten finanzieren und die Zinsdifferenz generierte schöne Gewinne. Eine Zeit lang hat das gut funktioniert. Bis sich herausgestellt hat, dass die hohen Ratings keine zuverlässigen Einschätzungen waren und diese Renditen – wie eigentlich immer in der Finanzwelt – nicht einfach einen «free lunch» darstellten, sondern eine Entschädigung für ein echtes Risiko.

Das Risiko war sehr real, aber die Finanzprodukte, in die man dieses Risiko verpackt hat, wurden mit jeder weiteren Verbriefung von Hypotheken und Kreditversicherungen immer virtueller...
Ja, sie hatten aber einen ganz realen Hintergrund: eine reale Hypothek auf ein ganz reales Haus. Und auch das Platzen der Blase hatte einen ganz realen Hintergrund: Dass einige Leute ihre Raten nicht mehr bezahlen konnten. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass diese Produkte an sich eine gute Idee sind, weil man das Risiko mit ihnen breiter verteilen kann. Der Teufel liegt aber im Detail der Umsetzung. Wenn man immer wieder neue Päck­chen von Hypotheken und verbrieften Hypotheken schnürt, weiss am Ende keiner mehr, was im zugrunde liegenden Portfolio eigentlich enthalten ist. Die Transparenz geht verloren. Aus diesem Grund hat man sich auf die Rating-Agenturen gestützt. Und das ist gründlich schief gegangen. Das zeigt in gewisser Weise auch die Grenzen dieser Produkte auf. Wenn sie zu intransparent werden, überwiegen die Nachteile den Nutzen.

Diese Nachteile sind einigen Banken schon zum Verhängnis geworden. Für andere schnüren die Staaten milliardenschwere Rettungspakete. Macht es eigentlich Sinn, gerade diesen Banken noch Geld hinterherzuwerfen?
Eigentlich ist es völlig absurd, dass man gerade den Institutionen, die sich als unfähig oder zu wagemutig erwiesen haben, staatliches Geld gibt. Damit bestraft man diejenigen, die sich vorsichtig verhielten und die Risiken unter Kont­rolle hatten. Das Problem ist nur: Wenn der Zusammenbruch des gesamten Bankensys­tems droht, dann bleibt den Staaten nichts anderes übrig, als diese Banken zähneknirschend zu retten. Kein Staat kann sich den Zusammenbruch seines Bankensystems leisten. Was dann passiert, haben wir in Island gesehen: Am Ende droht der Staatsbankrott und die Leute verlieren ihren hart erarbeiteten Wohlstand.

Reichen die vielen Milliarden überhaupt aus – am US-Hypothekenmarkt wurde schliesslich mit Billionenbeträgen spekuliert?
Zwischenzeitlich sind auch schon Billionen geflossen oder zumindest staatlich garantiert worden. Ob das ausreicht, ist schwer zu sagen. Es ist durchaus denkbar, dass noch weitere Banken in Schwierigkeiten kommen und gerettet werden müssen, das kann man heute nicht ausschliessen. Aber die Gefahr, dass das ganze internationale System zusammenbricht, ist sicherlich erstmal gebannt. Dazu müsste es nochmals einen Abwärtsstrudel von gewaltigem Ausmass geben. Natürlich kann man auch das nicht ausschliessen, ich halte es aber nicht für sehr wahrscheinlich.

Die Krise hat viele Regierungschefs auf den Plan gerufen, die eine stärkere Regulierung fordern. Kann Regulierung überhaupt helfen, Krisen zu verhindern?
Man würde einer Illusion aufsitzen, wenn man glaubte, mit strenger Regulierung oder einer engmaschigen Aufsicht könnte man Krisen verhindern. Ich sehe keinen Grund für die Annahme, dass die Aufseher besser wissen würden, wie sich die Märkte entwickeln und sie somit die Banken effizient vor Fehlern bewahren könnten. Dazu kommt immer noch die Möglichkeit, die Regulierung zu umgehen. Das ist ein bisschen wie ein Wettrüsten zwischen dem Regulator und den Regulierten, die immer versuchen, auszuweichen. Man darf eines nicht vergessen: Auch vor der Krise waren die Banken schon sehr stark reguliert. Wurde dadurch die Krise verhindert?

Trotzdem lässt sich einiges aus der Krise lernen. Sie haben vorhin schon das zu niedrige Eigenkapital der Banken angesprochen.
Richtig. Es hat sich gezeigt, dass das Eigenkapital der Banken in der Krise nicht ausgereicht hat. Und Krisen wird es immer wieder geben. Deshalb müssen Banken robust genug sein, um solche Krisen mit ihrem Eigenkapital auffangen zu können. Es reicht eben nicht, Aktiven nur mit 2 oder 3 Prozent Eigenkapital zu unterlegen. Die bestehenden Mindestanforderungen für das Eigenkapital, wie sie in dem aktuellen Standard «Basel II» festgelegt sind, sind zu tief. Sie sollten für die systemrelevanten Banken, eben für die Institute, die man in einem Notfall retten muss, weil an ihnen das ganze Sys­tem hängt, deutlich erhöht werden. Kleinere Banken sollte man weniger streng behandeln, da man diese ohne Gefahr für das System bankrott gehen lassen kann. Die Aktionäre und Gläubiger tragen dort das Risiko.

Ein anderes Thema ist das interne Risikomanagement, das beispielsweise im Fall der UBS völlig versagt hat. Keiner der internen Kontrolleure hat gemerkt, dass alle Abteilungen gleichzeitig in den Markt mit US-Schrotthypotheken investiert haben und es dadurch kaum mehr eine Risikostreuung gab. Was muss sich da ändern?
Interessant ist ja, dass es in Sachen Risikomanagement aus wissenschaftlicher Sicht gar keine neuen Erkenntnisse gibt aus dieser Krise. Alles, was schief gelaufen ist, hätte man aufgrund des Wissensstandes eigentlich wissen müssen. Es braucht also einerseits mehr Know-how bei den Banken, um die Probleme im Risikomanagement auszumerzen. Damit ist es aber noch nicht getan. Denn oft war das Verständnis durchaus da, aber die Risiken wurden trotzdem eingegangen. Nicht nur fehlendes Know-how, sondern monetäre und institutionelle Anreize waren ebenso verantwortlich für das aggressive Risikoverhalten.

In ihren Hochglanzbroschüren werben Banken mit Sätzen wie «Vertrauen ist der Anfang von allem». Davon haben einige Banken zwischenzeitlich sehr viel verspielt. Wie können die Banken jetzt wieder Vertrauen gewinnen?
Ich glaube, man macht es sich zu einfach, wenn man das Problem lösen will, indem man die Leute zu mehr Vertrauen auffordert. Im Gegenteil: Die Banken müssen sich dieses Vertrauen wieder verdienen. Das geht nur durch Transparenz, eine nachvollziehbare Geschäftsstrategie und solide Resultate. Vetrauen wird durch Fakten geschaffen, nicht durch Floskeln.

Die Raiffeisenbanken und die Volksbanken machen es vor. Obwohl sie keine Staatsgarantie wie die Kantonalbanken haben, können sie sich vor Kunden kaum retten. Hat Vertrauen vielleicht auch etwas mit «Bodenständigkeit» zu tun?
Ja, es hat etwas damit zu tun, dass man das Gefühl hat zu wissen, was diese Banken machen und dass die Transparenz bei ihnen besser gewährleistet ist als bei den grossen Universal- und Investmentbanken, bei denen man unsicher ist, was sie vielleicht noch alles in ihren Bilanzen versteckt haben. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt: Die Fakten müssen auf den Tisch und die Transparenz muss verbessert werden. Dann kommt auch das Vertrauen wieder zurück.

«Bodenständigkeit» hat auch etwas mit einer gewissen Ethik zu tun. Braucht es die im Bankgeschäft?
Ich glaube, Bankgeschäft hat immer mit Ethik zu tun. Im Bankgeschäft geht es darum, dem Kunden gegenüber eine Dienstleistung gegen eine geldwerte Entschädigung zu erbringen. Insofern sind Bankgeschäfte nicht mehr oder weniger ethisch als andere Geschäfte. Weil Banken eine so wichtige volkswirtschaftliche Funktion haben und es um viel Geld und eine komplexe Materie geht, kommt der Einhaltung von ethischen Grundsätzen besondere Bedeutung zu.

Aber die Kunden kommen ja auch wegen der Renditen. Sie wollen Vertrauen haben und gleichzeitig auch eine Rendite auf ihre Anlagen erzielen. Einige Banken haben ihnen die Lehmann-Papiere, die inzwischen wertlos sind, als vielversprechend angepriesen und geradezu aufgedrängt. Offenbar, weil sie daran auch selbst gut verdient haben.
Ein grosses Problem bei den Banken sind sicherlich Interessenkonflikte. Banken verstehen sich als Berater der Kunden, wollen aber gleichzeitig Produkte und Dienst­leistungen verkaufen, mit denen sie viel Geld verdienen. Das widerspricht sich natürlich. Ein Berater kann nicht gleichzeitig ein Verkäufer sein und ein Verkäufer ist kein glaubwürdiger Berater. Das ist wie beim Autohaus, welches bestimmte Marken führt. Würde man dort eine unabhängige Beratung erwarten? Der Verkäufer will doch einen Wagen seiner Marken verkaufen, und zwar ein Modell mit möglichst hoher Marge für ihn.

Da müsste sich also etwas ändern, damit das Vertrauen zurückkehrt?
Na ja, die Interessenskonflikte im Umgang mit den Kunden waren nicht der Grund für die Krise, sondern bestanden schon immer. Abbauen sollte man sie natürlich trotzdem. Aber gerade die neueste Entwicklung hin zu immer grösseren Universalbanken, welche Kreditgeschäft, Vermögensverwaltung und Investment Banking kombinieren, fördert solche Interessenskonflikte, da die Bank für alle Dienstleistungen auf eigene Produkte zurückgreifen kann. Allerdings gibt es auch die entgegengesetzte Entwicklung: Vor allem kleinere Banken konzentrieren sich zunehmend auf die Beratung und kaufen die Produkte von spezialisierten Anbietern ein. Entscheidend bei diesem Modell ist, dass keine versteckten Zahlungen an den Berater fliessen, weil sonst wieder Interessenskonflikte bestehen.

Von Beratung als Kernkompetenz wird auch viel gesprochen, wenn es um Liechtensteiner Banken geht. Welche Marktvorteile sehen sie für die Liechtensteiner Banken in der jetzigen – von Steueraffäre und Finanzmarktkrise geprägten Situation?
Für Liechtensteiner Banken ist es zunächst einmal ein grosser Vorteil, dass sie ohne Staatshilfen über die Runden gekommen sind. Sie sind von der Finanzkrise nicht direkt betroffen, weil sie in die entsprechenden Geschäfte gar nicht involviert waren. Liechtenstein hat die Finanzkrise bis jetzt sehr gut gemeistert. Gerade jetzt, auch im Zusammenhang mit den Entwicklungen beim Bankgeheimnis, kann die Sicherheit der Liechtensteiner Banken Teil einer neuen Strategie sein, um sich beim Kunden zu positionieren.

Sie haben gerade das Bankgeheimnis angesprochen. Dieser Marktvorteil beginnt zu bröckeln. Mit welchen Konsequenzen für die Liechtensteiner Institute?
Die Liechtensteiner Banken sind gut beraten, sich auf eine Zeit ohne diesen Wettbewerbsvorteil einzurichten. Wenn man das Bankgeheimnis am Ende doch in irgendeiner Form halten kann, umso besser. Aber man sollte vorbereitet sein, falls es wegfällt. Somit muss man sich neue Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Man kann zum Beispiel auf Sicherheit, innovative Produkte und eine hohe Beratungs- und Servicequalität setzen. Die Umsetzung einer solchen Strategie ist natürlich anspruchsvoller, als von Standortvorteilen zu profitieren.

Stellen wir uns Liechtenstein mal einen Moment lang tatsächlich ohne Bankgeheimnis vor. Wird es auch dann noch Banken geben?
Keine Frage. Natürlich verlangt es bei den Banken ein Umdenken, viel Innovationskraft, Know-how und Effizienz. Ich bin aber überzeugt, dass sich die Banken in Liechtenstein den kommenden Herausforderungen stellen und sich in diesem Prozess stark weiterentwickeln werden.

Zur Person: Manuel Ammann ist ordentlicher Professor für Finanzen an der Universität St. Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen. Zu seinen Forschungsgebieten zählen derivative Instrumente, Asset Management, Finanzmärkte und Risikomanagement. Er ist zudem Herausgeber der Fachzeitschrift Financial Markets and Portfolio Management, Verwaltungsrat der Neue Bank AG in Vaduz und Verwaltungsratspräsident der Algofin AG.

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