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notoperation

ein standard mit grosem spielraum. wirtschaft regional vom 11. april 2009

oecd artikel 26 musterabkommen

Von der Elastizität eines Standards

Die einzige Versicherung gegen die Schmähung «Steueroase» besteht spätestens seit dem G 20-Gipfel in der Umsetzung des OECD-Standards in Steuer(hinterziehungs)fragen. Bei der Versicherungspolice steckt der Teufel jedoch im Detail.

Von Wolfgang Frey

Vaduz/Paris. - Vor gut zwei Wochen haben die politischen Protagonisten der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bei ihrem Gipfeltreffen in London die Dreiteilung der Welt beschlossen. In «schwarz», «weiss» und «grau». Zur Messlatte der neuen Farbenlehre haben sie die Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum Informationsaustausch in Steuerfragen erhoben. Wer sich zu ihnen bekennt, wird auf unbestimmte Zeit erst einmal «grau» gelistet, wer die Ernsthaftigkeit seines Bekenntnisses mit mindestens einem Dutzend zwischenstaatlicher Abkommen zum Informationsaustausch unter Beweis stellt, erhält den globalen Persilschein in Form des «weissen Listings», und nur wer sich langfristig verweigert, steht am neuzeitlichen Pranger der «schwarzen Liste».

Ein Gummiparagraf als Messlatte
Doch die Trennlinie zwischen den Listen ist unscharf. Das zeigt nicht nur die politische Diskussion, das zeigt bei näherer Betrachtung auch der OECD-Standard selbst: Die Artikel der OECD-Musterabkommen, die die neue globale Trennlinie zwischen Steueroasen und -wüsten festlegen, haben den Charakter von Gummiparagrafen.

Offene Interpretationsfragen
Dreh- und Angelpunkt der Debatte ist die Frage, wann ein Land zugunsten der Steuerfahnder oder Finanzbeamten eines anderen Landes sein Bankgeheimnis lüftet. In den Alpenländern, die nun allesamt auf «grauen» Liste versammelt sind, werden die Standards eher restriktiv ausgelegt, im Land von Peer Steinbrück, dem deutschen Finanzminister, dem die Tageszeitung «Rheinische Post» diese Woche in einem Kommentar den Titel «Ober-Sheriff der Steuerfahndung» verlieh, legt man die Standards dagegen so weit aus als irgend möglich.

Die Interpretation des Eidgenössischen Finanzdepartments von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz geht so: Der Bundesrat habe entschieden, «dass die Schweiz den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen nach Artikel 26 des OECD-Musterabkommens übernimmt», erklärte das Department vor wenigen Tagen, als die Schweiz Verhandlungen über ein Abkommen mit den USA ankündigte. «Das erlaubt», hiess es weiter, «den Informationsaustausch im Einzelfall auf konkrete und begründete Anfrage mit anderen Ländern auszubauen». Ähnlich klingt das bei Österreichs Finanzminister Josef Pröll: Österreich werde künftig bei «begründetem Verdacht» einer ausländischen Behörde auf Steuervergehen des Kontoinhabers Informationen über Konten austauschen, sagt der Minister, schränkt aber ein, der Verdacht müsse «gut dokumentiert» sein.

Automatismus «völlig undenkbar»
Liechtenstein hat sich vor knapp vier Wochen noch einen Tag vor der Schweiz und Österreich zu den OECD-Standards bekannt. «Diese sehen einen Informationsaustausch auf Anfrage, jedoch keinen Automatismus vor», definiert Regierungschef Klaus Tschütscher. Der Austausch auf Anfrage in einem gut dokumentierten Einzelfall mit begründetem Verdacht auf Steuerhinterziehung, wie ihn Liechtenstein Ende 2008 mit den Vereinigten Staaten im sogenannten TIEA vereinbart hat, sei der «Massstab für die weiteren Verhandlungen», sagt Tschütscher. Eine direkte Kontenabfrage eines ausländischen Finanzamts wäre – und da ist er sich einig mit den Bankiers und Treuhändern im Land – «völlig undenkbar».

Den «automatischen Informationsaustausch» wünscht sich Peer Steinbrück. Auch in Frankreich hält man dies für die beste Variante. Doch selbst, wenn sich Deutschland und Frankreich damit in den Alpen nicht durchsetzen können: Die OECD-Standards geben wesentlich mehr her als nur die Auskunft im wohl begründeten Einzelverdachtsfall auf Steuerhinterziehung.

Auskunft über die Bandbreite des OECD-Standards geben der Artikel 26 des Steuer-Musterabkommens der Organisation und der Artikel 5 des Musterabkommens über den Informationsaustausch in Steuerfragen, das die OECD den Ländern auf der «grauen» Liste derzeit als wirksamen Persilschein warm ans Herz legt.

Das Angelverbot der OECD
Ausgeschlossen werden dort lediglich die sogenannten fishing-expeditions, Fischzüge nach Art einer Rasterfahndung also. Zum Beispiel wenn Steinbrück etwa in Vaduz nachfrage, welche deutschen Grossmütter alle eine Stiftung in Liechtenstein hätten, wie es ein OECD-Vertreter in dieser Woche plastisch umschrieb.

Möglich sind dagegen ausweislich des entsprechenden OECD-Kommentars der Austausch von Informationen «auf Anfrage, mit einem speziellen Fall im Sinn», «automatisch», zum Beispiel wenn eine Einkommensquelle in dem Vertragsstaat sprudelt, aber in dem anderen abgeschöpft wird, oder «spontan», wenn ein Staat über Informationen verfügt, die er als interessant für einen anderen erachtet und sie ihm deswegen mitteilt.

Klar stellt das OECD-Reglement auch, dass sich der Austausch nicht auf Verdachtsfälle von Steuerhinterziehung beschränkt. Austauschen, so liest es sich in den entsprechenden Artikeln der Musterabkommen, sollen die Staaten solche Informationen, die «voraussichtlich relevant» für die korrekte Anwendung der Steuergesetze beider Vertragspartner sind.

«Grösstmöglicher» Austausch
Die Formulierung «voraussichtlich relevant», heisst es im Kommentar, solle klarstellen, dass Informationen «im grösstmöglichen Ausmass» ausgetauscht werden sollen. Statt «voraussichtlich relevant» erlaubt die OECD allerdings auch Formulierungen wie «notwendig» oder «relevant».

Peer Steinbrücks Interpretation des OECD-Standards wurde unmittelbar vor dem G-20-Gipfel unmissverständlich klar. Mit der Insel Guernsey hatte er wenige Tage zuvor ein Abkommen unterzeichnet. Dort wurde die Variante «voraussichtlich relevant» gewählt. «Ein Ersuchen um Auskunft erfordert nicht, dass bereits ein Verdacht auf Steuerhinterziehung besteht», erklärte Steinbrücks Ministerium tags darauf. «Erforderlich ist nur, dass ein Sachverhalt aufzuklären ist und dass die erbetenen Auskünfte und Unterlagen für die Besteuerung voraussichtlich relevant sind.»

Die Interpretationen des OECD-Standards gehen also recht weit auseinander. Und der Standard selbst lässt einen grossen Spielraum. Ein Tauziehen um die Interpretationshoheit ist damit für Verhandlungen über bilaterale Abkommen vor allem mit dem Hause Steinbrück programmiert.

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