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leseprobewirtschaft

spedition mit geschichte. wirtschaft regional, 2010.

gebrueder weiss spedition firmenportrait

Transporteur mit alpinem Erbe

Die Wurzeln der Vorarlberger Spedition Gebrüder Weiss reichen so weit zurück, dass sie zwischenzeitlich im Unternehmen selbst teils in Vergessenheit gerieten. Wiederentdeckt werden sie in den 1930er-Jahren von einer Bregenzer Studentin.


Von Wolfgang Frey

Lauterach. – Ferdinand Weiss hat an diesem Tag wahrlich andere Sorgen. Gerade 23 Jahre alt hat er nach dem Tod von Vater und Onkel 1925 das Familienunternehmen übernommen. Mitten in der schwierigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die Donaumonarchie ist zerfallen, die Niederlassungen der Spedition in den inzwischen italienischen Küstenstädten Triest und Görz sind verloren. Die Herausforderungen im nun ungleich kleineren Österreich heissen Hyperinflation, Währungsreform – und nach dem «schwarzen Donnerstag» an der Wall Street 1929 – Weltwirtschaftskrise. Eines Tages, in den 30er-Jahren, als es langsam wieder bergauf geht, steht auf einmal diese Frau in Ferdinand Weiss’ Kontor und fragt: «Wissen Sie eigentlich, wie alt ihre Firma ist?» Ein paar Jahre später lässt Ferdinand Weiss Plakate mit dem stolzen Schriftzug drucken: «Gebrüder Weiss – seit 500 Jahren Frachtführer».

Forscher in eigener Sache
Die Besucherin heisst Claudia Helbok. Bei Recherchen für ihre Dissertation über die Geschichte des Transportwesens stösst die Studentin aus Bregenz auf die lange Tradition des Familienunternehmens. Ferdinand Weiss lässt Helbok die erste Firmengeschichte verfassen: «500 Jahre Frachtführer – Vom Mailänder Boten aus Fussach am Bodensee zur Spedition Gebrüder Weiss.» Für Gebrüder Weiss ist es das erste «WeissBuch», wie die Unternehmenschronik inzwischen heisst.

Sieben Jahrzehnte später sitzt Ferdinand Weiss’ Schwiegersohn Paul Senger-Weiss in der Firmenzentrale in Lauterach bei Bregenz und legt das druckfrische «Weissbuch3» auf den Tisch. Von 1968 bis 2004 steht er mit seiner Frau an der Spitze von Gebrüder Weiss, heute sitzen sie im Aufsichtsrat von Österreichs inzwischen grösstem Transportunternehmen in Privatbesitz. «Wir haben unser Leben lang gesammelt», sagt Senger-Weiss und schlägt die Seite mit dem ersten noch erhaltenen Frachtbrief aus dem Jahr 1826 auf: «Darauf sind wir besonders stolz.»

Ein gefährlicher Weg gen Süden
Die eigentliche Geschichte beginnt viel früher. Damit, dass der Graf von Werdenberg-Sargans und der Bischof von Chur Ende des 15. Jahrhunderts den Weg durch die gefährliche Viamala-Schlucht in Graubünden ausbauen lassen – den Anfang des beschwerlichen Wegs über den Splügenpass gen Süden, der Jahrhunderte lang die blühenden Handelszentren Lindau und Mailand verbindet.
Um Briefe, Geld und feine Handelswaren über die Alpen zu schicken, richten die Handelskammern zu Mailand und Lindau 1474 den «Mailänder Boten» ein. Der Kurierdienst verkehrt bis 1826 von Lindau über Feldkirch, Balzers, den Luzisteig, Chur, Splügen, Chiavenna und Como nach Mailand.

Als Boten werden vornehmlich Bürger aus Fussach am Bodensee vereidigt – darunter zahlreiche Mitglieder der eng verbundenen Familien Spehler und Weiss. Mitunter vertrauen sich auch Passagiere den Mailänder Boten an, die die herausfordernde Strecke per Schiff, Wagen und auf den Gebirgsstrecken zu Fuss und mit Saumtieren binnen fünfeinhalb Tagen bewältigen. Prominentester Passagier ist 1788 der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe auf seiner Rückreise von Italien.

Vom Boten zum Spediteur
Organisiert wird der Botendienst massgeblich von der Faktorei in Fussach, die auch die Zwischenlagerung von Waren übernimmt. «Eine Faktorei war eigentlich ein Vorgänger einer Spedition», sagt Paul Senger-Weiss. Im Jahr 1781 beteiligt sich der Mailänder Bote Johann Kasimir Weiss an der Faktorei, 1822 übernimmt Josef Weiss zusammen mit seinen beiden Halbbrüdern das Unternehmen. Seit 1823 firmiert es unter dem Namen Gebrüder Weiss.

Das Prinzip der Geschäftsführung sei so einfach wie heute gewesen, sagt Pau Senger-Weiss: «Follow the customer – Folge dem Kunden.» Damals ist es die aufstrebende Vorarlberger Textilindustrie, die nach Baumwolle aus Ägypten verlangt und ihren Absatzmarkt vor allem in Wien hat: Goldene Zeiten für Spediteure. Mit der Eröffnung der Bahnlinie Lindau–Bregenz– Bludenz droht Fussach ins verkehrspolitische Abseits zu geraten. Doch als am 1. Juli 1872 der erste planmässige Zug in Bregenz hält, ist die Zentrale von Gebrüder Weiss schon dorthin umgezogen. Kurz darauf eröffnen Niederlassungen in Triest und anderen Mittelmeerhäfen, um den Transport der Waren aus Übersee zu organisieren.

Expansion von Buchs bis Wien
Kundennahe Filialen entstehen derweil unter anderem in Dornbirn, Feldkirch, Buchs und St. Margrethen, hinzu kommt eine Niederlassung in Wien. Der Aufschwung und die Expansion enden jäh mit dem Ersten Weltkrieg. Der Fuhrpark der Spedition zählt 1920 gerade noch 21 Pferde, elf Pritschenwagen und ein Fahrrad.

Zwölf Jahre später eröffnet Gebrüder Weiss eine Niederlassung in Hamburg und ist damit nach gut einem Jahrzehnt wieder an einem Welthafen vertreten. Die Aufrüstung und der Zweite Weltkrieg bringen der Spedition gutes Geschäft. Der Preis dafür, vermerkt die Firmenchronik, sollte allerdings ein «sehr sehr hoher» sein. Paul Senger-Weiss drückt es so aus: «Wir mussten von Null anfangen.»

Kriege erlebt die Firma fortan nicht mehr, aber immer neue Herausforderungen. Als der «Eiserne Vorhang» fällt, expandiert Gebrüder Weiss nach Osten. «Ein Millionenmarkt», sagt Paul Senger Weiss, der 1978 auch Kontakte nach China knüpft.

Als «extrem schwierig» erweist sich 1995 der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Über Nacht fallen die Zollschranken und damit die lukrativen Verzollungsgeschäfte weg. Gebrüder Weiss verliert gut die Hälfte des Umsatzes, trennt sich von einem Viertel der Belegschaft und muss wieder einmal «neu erfinden».

Farbgebung aus schwierigen Zeiten
Heute ist Gebrüder Weiss ein international agierender Transport- und Logistikkonzern mit 4500 Mitarbeitern, 156 Niederlassungen und einem Umsatz von zuletzt 830 Millionen Euro. Geblieben ist die Farbe. Die Lastwagen und Container sind seit den 1930er-Jahren in dem typischen Gebrüder-Weiss-Orange lackiert, eine Idee von Ferdinand Weiss aus schwierigen Zwischenkriegszeiten: Um einen dringenden Auftrag abzuwickeln, lässt der Bregenzer Garagenmeister einen erst halbfertig lackierten Lastwagen aus der Werkstatt holen – er ist nur mit Rostschutzfarbe gestrichen. Als Ferdinand Weiss den orangenen Wagen sieht, ist die Entscheidung gefallen: Statt wie damals üblich mausgrau lässt er fortan alle Fahrzeuge orange lackieren.

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