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der untergetauchte datendieb heinrich kieber gibt ein interview. aus dem liechtensteiner vaterland vom 5. august 2010

datendieb heinrich kieber


Interview mit einem Phantom

Im Frühjahr porträtierte ein Dokumentarfilm den Datendieb Heinrich Kieber als Gauner, der stets nur auf seinen Vorteil bedacht war. Im «Stern» schildert Kieber heute seine Sicht der Dinge: «Ich wollte nur Gerechtigkeit.»

Von Wolfgang Frey

Vaduz/Hamburg. – Heinrich Kieber ist der meistgesuchte Kriminelle Liechtensteins. Er ist irgendwo untergetaucht und wird von ausländischen Geheimdiensten geschützt. Er ist Millionär, denn für seine bei der fürstlichen LGT Treuhand geklauten Kundendaten hat er ein fürstliches Salär vom deutschen Geheimdienst BND bekommen. Er hat den Finanzplatz und das Land in eine historische Krise gestürzt, die Liechtenstein das Privileg des Bankgeheimnisses kostete. Seit er in einem Zeugenschutzprogramm untergetaucht ist, ist der verurteilte Datendieb ein Phantom. Heute ziert dieses Phantom die Titelseite des «Stern» und gibt darin ein neun Seiten langes Interview, das dem «Liechtensteiner Vaterland» vorliegt. Darin behauptet er: Er habe sich an Fürst Hans-Adam II. rächen wollen. Und es sei ihm im Gegensatz zu anderen Datendieben nie um Geld gegangen: «Ich wollte nur Gerechtigkeit.»

Zweifache Rache
Der Rachefeldzug Kiebers ist nach seiner eigenen Darstellung ein ganz persönlicher. Er habe nichts mit Steuerhinterziehung zu tun, so Kieber im «Stern». Die beim Treuhandbüro gestohlenen Daten seien lediglich ein willkommenes Druckmittel gewesen: «Ich wollte nur eines: meine verdammten Folterer auf die Klagebank bringen.»

Kieber erzählt im «Stern», wie er 1997 in Argentinien entführt, misshandelt und knapp zwei Wochen gefangen gehalten wurde. Trotz einer Anzeige kam die Causa in Liechtenstein allerdings nie vor Gericht. Kieber wirft Fürst Hans-Adam II. im «Stern» vor, ihn «verarscht» zu haben. Der Fürst habe ihm versprochen, seine Folterer vor Gericht zu stellen. Doch das sei nie passiert.

Fürst Hans Adam II., der derzeit in den Ferien weilt, war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Sigvard Wohlwend, Koautor des im Frühjahr in Liechtenstein gezeigten Dokumentarfilms «Heinrich Kieber – Datendieb», bestätigte die Argentinien-Geschichte grundsätzlich. Kieber blende dabei allerdings aus, dass er selbst einen grossen Anteil an der Entführung gehabt habe, sagte er «Spiegel Online». Kieber habe zuvor schliesslich einen Deutschen in Spanien um eine Immobilie und damit um viel Geld geprellt. Das habe dieser von Kieber wiederhaben wollen – wenn auch mit zweifelhaften Mitteln. Wegen des Betrugs an dem Deutschen wurde Kieber im Übrigen in Liechtenstein bereits verurteilt.

Während sich der geprellte Deutsche mit einer Entführung offenbar an Kieber rächen wollte, rächte sich Kieber nach eigener Darstellung später an Fürst Hans-Adam II. mit dem Verkauf der Kundendaten.

Noch mehr Prominente
Dieser Datendeal eskalierte am 14. Februar 2008 mit der Verhaftung des deutschen Topmanagers Klaus Zumwinkel. Zu seiner «Überraschung» sei es der einzige derart Prominente, dem der Prozess gemacht worden sei, erzählt Kieber im «Stern». Immerhin habe er Daten von 3929 Stiftungen, Gesellschaften und Trusts sowie von 5828 natürlichen Personen bei der LGT Treuhand entwendet – und neben den deutschen auch den Behörden von einem Dutzend anderer Länder angeboten. Darunter seien 45 weitere Prominente wie Zumwinkel, sagt der 45 Jahre alte Liechtensteiner.

Milliarden von Schwarzgeld aus der ganzen Welt seien nach Liechtenstein geflossen, berichtet Kieber seinem deutschen Publikum. Über Konten von Briefkastenfirmen in Spanien oder Portugal, die indirekt der LGT Treuhand gehörten, sei das Geld nach Vaduz gekommen. Bargeld hätten die Kunden durch eine geheime Stahltür im öffentlichen Parkhaus des Vaduzer Städtles direkt in einen Tresorraum der LGT Treuhand fahren können.

Bei der LGT Bank in Liechtenstein, die die Treuhandtochter inzwischen abgestossen hat, hiess es gestern zu Kiebers Aussagen, von den Fakten her biete das Interview «nichts Neues». Weiter wollte sich die Bank zu dem gestern in Auszügen veröffentlichten Interview nicht äussern. Unter der Hand hiess es am Finanzplatz aber, die Tür zur früheren LGT Treuhand gebe es tatsächlich, jedoch keinen Tresorraum. Das Treuhandbüro sei schliesslich keine Bank gewesen.

Für den Filmemacher Wohlwend ändert das Kieber-Interview nichts an seiner Sicht der Dinge. Die Geschichte des betrogenen Gutmenschen nimmt er Kieber nicht ab: «Er ist ein relativ kommuner Gauner, der auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist», sagte er dem «Liechtensteiner Vaterland».
Kieber selbst bleibt unterdessen weiter ein Phantom. Mit dem «Stern» hat er absolute Vertraulichkeit über das Zustandekommen des Interviews vereinbart.

 

«Jawohl, ich hab mich gerächt»

Liechtensteins prominentester Krimineller rechnet ab: Der Verkauf von geheimen Bankdaten an den BND sei ein persönlicher Racheakt an Fürst Hans-Adam II. gewesen, sagt der Datendieb Heinrich Kieber. Dieser habe ihn jahrelang «verarscht».


Von Wolfgang Frey

Hamburg/Vaduz.– Nun spricht es also wieder einmal. Das Phantom Heinrich Kieber. Wieder ist es eine Stimme aus dem Off. Wieder ist er nicht greifbar. Wieder versucht sich Kieber in seiner ganz speziellen Art in Szene zu setzen. Vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der durch seinen Datenklau bei der LGT Treuhand ausgelösten Steueraffäre, flimmerte er in einer Anhörung eines US-Senatsausschusses zur Steuerhinterziehung als Schattenmann über die Leinwand und prangerte «sehr fragwürdige Geschäfte» der fürstlichen LGT Bank in Liechtenstein an. Heute prangt er auf dem Titel des deutschen Magazins «Stern» und erzählt von seinem Hass auf Liechtensteins Landesfürsten Hans-Adam II. Dieser habe ihn getrieben. Der Fürst, «sein ganzer Apparat, die Regierung, die Justiz, haben mich von 1997 bis 2005 verarscht». Nicht um Geld sei es ihm gegangen, als er die fürstliche Treuhandgesellschaft dem deutschen Geheimdienst BND und damit der Steuerfahndung für 5 Millionen Euro ans Messer lieferte und damit die grösste Staats- und Finanzplatzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg auslöste. Nein, sagt er: «Ich wollte nur Gerechtigkeit.»

«Perfide und clever»
«Erzählen sie mal der Reihe nach», fragt der Interviewer der deutschen Zeitschrift «Stern». «Worum ging es da?» Kieber erzählt den Beginn seines Traumas der Reihe nach. Es ist eine «Horrorstory» von Folter und einem gebrochenen fürstlichen Vesprechen. Sie geht so: Im März 1997 macht sich Kieber nach Argentinien auf, um rund eine Viertel Million Schweizer Franken bei einem spanischen Freund einzutreiben. Es habe einen Vertrag über den Kredit gegeben, alles sei rechtens gewesen, behauptet Kieber. Dann habe der Spanier ihm zusammen mit einem Deutschen aber eine Falle gestellt.

Auf «perfide und clevere Weise» hätten sie ihn um sein Geld bringen wollen, sagt Kieber in dem «Stern»-Interview, und ihm sein ganzes Erspartes abpressen. «Sie liessen mich entführen, sperrten mich in einen Wasserturm, folterten mich», sagt Kieber. «Ich habe nur mit ganz, ganz, ganz viel Glück überleben können.» Zwölf Tage, dann hätten sie ihn frei gelassen. In Vaduz habe er Anzeige erstattet, aber am Ende habe ihm die Staatsanwaltschaft «ganz salopp per Einzeiler mitgeteilt, dass sie meine Anzeige nicht weiter verfolgen will».

«Tagelang in Todesangst»
Als er im Oktober 2000 den Job bei der LGT Treuhand bekommen habe, erzählt Kieber dem «Stern», habe er «die Chance», die sich ihm mit einem Datenklau bieten könnte, recht früh erkannt. Die endgültige Entscheidung sei aber in seinem «anderen Leben» entstanden, in zwölf Tagen von Folter und dem Unrecht, das ihm in Liechtenstein widerfahren sei, wo ihm niemand geglaubt habe.

Der «Stern» hat Kiebers Geschichte unterdessen nachgeprüft und will einen Zeugen gefunden haben, der bestätigt, dass Kieber «auf einer Farm in Argentinien festgehalten wurde – angekettet in einem Turm, tagelang in Todesangst».

Im Jahr 2002 stiehlt Kieber schliesslich Tausende Kundendaten bei der LGT Treuhand. Das sei keine grosse Sache gewesen, sagt er dem «Stern». Bei der LGT Treuhand sei täglich eine Sicherungskopie mit Kundendaten gemacht worden. Das «handelsübliche Magnetband» mit den Daten habe jeden Tag «für ein Weilchen» bei der verantwortlichen Person auf dem Tisch gelegen, im Umkreis von seinem Arbeitsplatz. «Die einzige Möglichkeit, es zu entwenden, ohne dass es jemand merkt, war natürlich, es auszutauschen», erzählt Kieber. Und das habe er dann auch getan.

«Die Macht des Bandes»
Die «Macht dieses Bands» habe er als sein letztes Mittel begriffen, um einen Prozess in der Entführungssache zu erzwingen, schreibt der «Stern». In einem 38-seitigen Brief an Fürst Hans-Adam II. habe er ihm 2003 gedroht, das explosive Material Steuerfahndern in Deutschland oder den USA zu übergeben, wenn es kein Gerichtsverfahren gäbe. «Er gab mir 2003 sein Ehrenwort, dass die Täter von Argentinien verfolgt und vor Gericht gestellt werden, koste es, was es wolle», sagt Kieber. Dann sei er gezwungen worden, sich vor Gericht schuldig zu bekennen. «So wurde ich auch wegen versuchter Nötigung Hans-Adams verurteilt», erzählt Kieber dem «Stern».

Er selbst habe sich an die Abmachung mit dem Fürsten gehalten, alle gestohlenen Daten zurückzugeben, sagt Kieber. «Ausser mit dem kleinen Geheimnis, dass ich noch eine Kopie in einem anderen Land sicher versteckt hatte.» Aber er habe wirklich vorgehabt, «diese letzte Kopie» zu vernichten, sobald seine Peiniger von Argentinien vor Gericht gestellt würden: «Aber zu meinem grössten, grössten, grössten Schock hat er sein Wort nicht gehalten.»

Stattdessen habe ihm der Fürst in einem von vielen Telefonaten gesagt: «Gehen Sie doch zu den Deutschen oder Amerikanern mit den Daten, die Sie glauben zu haben.» Das tat Kieber bekanntlich 2006. «Jawohl, ich hab mich gerächt, an Hans-Adam, seiner Marionettenregierung und der Justiz», rechtfertigt sich Kieber im «Stern».

Dazu habe er «Schutz und eine fähige Behörde» gebraucht. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND habe die Mittel und Wege zur Verfügung gestellt. Daneben habe er sich auch an die Amerikaner gewandt. Die Deutschen seien in seinen Augen aber am ehesten fähig gewesen, sofort und schnell zu erkennen, um was es ging, die Amerikaner hätten schliesslich erst alles übersetzen müssen.


«Menschen wie du und ich»
Eine E-Mail habe er geschickt, die Antwort sei zwei Tage später gekommen, dann die Agenten: «Sie schickten mir einen Mann und eine Frau», sagt Kieber. «Sie nannten mich David, und ich nannte sie Schiller. Herr und Frau Schiller.» Sympathisch seien sie gewesen, «Menschen wie du und ich». Als er die Daten übergeben habe, hätten sich «neun Jahre aufgestauter Stress, Hass und das Ungerechtigkeitsgefühl seit dem Vorfall in Argentinien 1997» entladen.

Ansonsten habe er auch mit anderen Ländern «kooperiert», mit «jedem, der wollte», sagt Kieber und spricht nach kurzem Überlegen von insgesamt 13 Ländern, denen er die Daten angeboten habe. Keiner habe es ihm jedoch so einfach gemacht wie der BND. Nur bei den Deutschen habe eine einfache E-Mail genügt.

Ein Millionärsleben in Saus und Braus führe er trotz seines Millionenvermögens nicht, sagt Kieber. Er sei ein «bescheidener Mensch» und leiste ehrenamtliche Arbeit wie «alte Leute ins Spital fahren». Viele Freunde oder Bekannte habe er nicht. Nur Freunde, die er «in der Gruppe der Menschen getroffen habe, die sich professionell um mich kümmern». Wer das ist und wo er sich aufhält, verrrät Kieber nicht und auch der «Stern» wahrt das vereinbarte Schweigen über die Umstände des Interviews.

«Wir passen natürlich auf»
Angst habe er keine. Auch nicht vor dem Fürsten: «Hans-Adam wurde mit Angeboten überschwemmt, von Profis, Halbprofis und Möchtegernfirmen, die angeboten haben, ihm meinen Kopf, meine Leiche zu bringen, wenn die Kasse stimmt», behauptet Kieber in dem Interview. Von einem entsprechenden Auftrag sei ihm allerdings nichts bekannt. Dennoch: «Wenn die Kugel kommt, kommt sie von Hans-Adam», sagt Kieber. «Das ist so!» Aber für solche Fälle werde man vom BND geschult: «Wir passen natürlich auf», sagt Kieber. «Wir, damit meine ich den BND und mich.»

Das Land, in dem er nun lebe, in einem Zeugenschutzprogramm und mit einer neuen Identität, sei kein Gefängnis. Der internationale Haftbefehl Liechtensteins sei «wertloses Papier». Es sei einfach die Frage, «wer hinter einem steht», sagt Kieber. Von den Ländern, in denen er sich bewege, habe er sich schriftlich geben lassen, dass er «unter keinen Umständen» an Liechtenstein ausgeliefert werde. So habe er im Sommer 2008 auch unbehelligt nach Washington reisen können, um dort seine Zeugenaussage vor dem Senatsausschuss zu machen. «Zu diesem Zeitpunkt gab es den Haftbefehl», sagt Kieber. «Passiert ist mir trotzdem nichts.»

«Auf immer und ewig»
Was seine Heimat angeht, fühlt sich Kieber unverstanden. «Das Bild, das in Liechtenstein in den letzten drei Jahren von mir vermittelt wurde, ist hauptsächlich falsch», sagt er. Er selbst fühle sich zwar nicht wie der «Staatsfeind Nummer eins». Die Zeit heile schliesslich Wunden. Für viele in Liechtenstein gelte das vermutlich aber nicht. Vor allem, was den Fürsten angeht, mutmasst Kieber. Seine «ganze Sippe», da ist er sich sicher, «wird mich auf immer und ewig hassen wie die Pest».

Aber auch bei Kieber selbst sitzt der Hass trotz seiner Rache offenbar immer noch tief. Diesen Satz jedenfalls kann er sich im Interview nicht verkneifen: «Hans-Adam kann ich nur sagen: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.»


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