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ein friedensnobel- preisträger, dessen geheimdienste unschuldige menschen bespitzeln und foltern? das darf nicht sein. diese geschichte aus arafats ära als palästinenserführer und chef aller seiner zwölf geheimdienste wollte 2003 in deutschland niemand drucken.

schwuler palästinenser


Fluchtpunkt Israel

Ein junger Palästinenser in der Falle des Nahost-Konflikts - In Gaza als Schwuler gefoltert, in Tel Aviv als potenzieller Attentäter unerwünscht

Von Wolfgang Frey

Tel Aviv. - In Tel Aviv hat ein junger Palästinenser Angst um sein Leben. Er weiß, dass seine Flucht vor dem Schwulenhass seiner Heimat in der liberalsten Stadt des Nahen Ostens zu Ende ist. Er hat sein Ziel erreicht und doch verpasst. Er sitzt fest in einer Freiheit, die für ihn nicht gilt. Palästina hat ihn fast umgebracht, weil er schwul ist. Israel will ihn zurückschieben, weil er palästinensisch ist. Palästina ist Achmed und Achmed ist tot.

Er sieht seinen Nachbarn Achmed wieder vor sich, wie er mit brennenden Kleidern vom Mob durch das Flüchtlingslager im Gaza-Streifen gejagt wird. Die Schule ist gerade aus und mit den Büchern unter dem Arm steht er da und fragt sich, wie Achmeds Vater seinen Sohn mit Benzin übergießen und anzünden kann, weil er schwul ist. Dreizehn Jahre ist das her, er ist noch klein, aber er weiß, es hat irgendwas mit Familienehre zu tun. Schwule sind in Palästina nicht vorgesehen.

Zwei Jahre später merkt er, wie er anfängt, anderen Jungs Blicke nachzuwerfen und kriegt Angst. Er fängt an, oft in die Moschee zu gehen. Er bittet Allah, ihn nicht zu bestrafen und dieses neue Gefühl in ihm auszulöschen. Es hilft nicht.

Er ist gerade 24 geworden und seit sechs Jahren auf der Flucht. Er kommt im Schutz der anbrechenden Tel Aviver Nacht, um seine Geschichte zu erzählen und sagt, er will Rani genannt werden. Er lächelt ständig und das wirkt wie ein Gegengewicht zu seinem Leben. Er fängt an zu erzählen und sein linkes Augenlid fängt an zu flattern.

Als er elf ist, sieht er Achmed brennen. Als er 13 ist, spürt er, dass er schwul ist. Als er 16 ist, schöpfen seine Brüder Verdacht. Kurz vor seinem 18. Geburtstag fragt ihn ein Gleichaltriger, ob er nicht Sex mit ihm haben will und Rani sagt ja. Als er am nächsten Morgen aufwacht, steht sein Vater vor ihm, mit einer Vorladung von der Polizei der palästinensischen Autonomiebehörde in der Hand und Rani weiß nicht, was er sagen soll.

Rani geht auf die Wache und wird verhört. Er erfährt, dass er einem Spitzel auf den Leim gegangen ist. "Sie verlangten, dass ich auch Schwule aufspüren und ausliefern sollte, sonst würden sie allen erzählen, dass ich schwul bin."

Rani beschreibt seinen Vater und seinen Bruder Fadi als islamische Fanatiker. Er sagt, dass Väter, die ihre schwulen Söhne zur Rettung der Familienehre umbringen, im Gaza-Streifen nichts zu befürchten haben: Sie gelten in dieser Gesellschaft als Opfer, nicht die Toten. Er erzählt von religiösen Milizen, Leuten mit vermummten Gesichtern, die Männer unter Schwulenverdacht aus ihren Häusern zerren und umbringen, weil solche Männer in ihrer Lesart des Islams nicht vorgesehen sind.

Er sagt, dass die Staatssicherheitspolizei der Autonomiebehörde seit ihrer Installation die Rolle der "offiziellen Schwulenjäger" übernommen hat. Er sagt, dass die israelische Polizei weiß, wie gefährlich Schwule in den Autonomiegebieten leben. Dass sie das ausnutzen, palästinensische Schwule erpressen, sie zwingen, als Informanten zu arbeiten. Er sagt, dass das den Schwulenhass der palästinensischen Polizei noch weiter schürt. Jeder Schwule ist in ihren Augen nicht nur ein Perverser, er ist auch ein potenzieller israelischer Spion.

Rani weiß, wenn er auffliegt, ist er in Lebensgefahr. Er sagt zu dem Polizisten, dass er mitmacht, aber er liefert niemanden aus.

Rani wird acht Wochen später verhaftet. Er soll gestehen, in einem schwulen Pornofilm mitgespielt zu haben, den es nicht gibt und er gesteht nichts. Er hört den Satz, "wir haben auch noch andere Methoden".

Was dann passiert, schildert Rani so. Er wird mit verbundenen Augen in einen Raum geführt, dessen größter Teil aus einer Grube mit übelriechendem Wasser besteht. Er wird nackt an den gefesselten Händen an der Decke aufgehängt. Er hängt neben einem Mann, dem sie schwule Kuppelei vorwerfen. Rani kann kaum atmen, weil ihm das stinkende Wasser bis zum Kinn reicht. Der Mann neben ihm sagt, er hänge seit drei Tagen dort.

Bonn. Abdallah Frangi, Generaldelegierter Palästinas in Deutschland: "Meine persönliche Meinung ist, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgt werden sollte. Ich weiß allerdings auch, dass in der palästinensischen Gesellschaft dazu eine andere Einstellung existiert als in Deutschland."

Rani wird aus dem Wasser gezogen und darf sich wieder anziehen. Er wird in einen Raum geschleift, in dem ein Mann sitzt, dem sie die Fingernägel herausgerissen haben, weil sie ihn beschuldigen, mit Israel zu kollaborieren. Das ist der Standardvorwurf. Von seinen Händen tropft Blut auf den Boden.

Köln. Claudia Bergmann, Sprecherin der Koordinationsgruppe Israel/besetzte Gebiete/Palästinensische Autonomiegebiete von Amnesty International: "Kollaboration mit Israel ist der Vorwand, der dort immer gern benutzt wird, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen. Das wird auch für Schwule gelten. Leider habe ich gar keine Informationen dazu. Das ist ein Bereich, der noch gar nicht angesprochen wurde. Darum müssten wir uns mal kümmern."

Rani wird in einen anderen Raum gebracht und muss zusehen, wie drei Polizisten einen jungen nackten Mann, der sich gegen so viele nicht wehren kann, mit Gewalt auf eine Cola-Flasche setzen. "Der Polizist sagte zu ihm, 'wir wollen doch mal sehen, was dir mehr Spaß macht, ein Männerschwanz oder eine Flasche'." Rani sieht, wie ein Schwall Blut auf den Boden spritzt, als der Mann die Flasche schließlich herausnehmen darf. Rani wird von hellen Lampen geblendet und gefragt, ob er noch mehr sehen will.

Brüssel. Die EU-Parlamentarierin Ilka Schröder hat Berichte über ermordete schwule Palästinenser vor sich, über Anklagen wegen Homosexualität, über Sharia-Gerichte, vor denen Schwulen die Todesstrafe durch Steinigen, Verbrennen und Erhängen droht. Sie setzt eine Anfrage an die Kommission auf: Muss die EU angesichts der mehr als 1,4 Milliarden Euro, mit denen sie seit 1993 die Autonomiebehörde unterstützt hat, nicht die Einhaltung der Menschenrechte durchsetzen?

Rani wird in einen stockdunklen Raum mit Ratten und Insekten gesperrt. Er spürt, wie die Viecher unter seine Kleider kriechen und schlägt um sich. "Ich war mit Blut und toten Insekten bedeckt, als ich nach einer Stunde rausdurfte."

Rani wird mit verbundenen Augen von einem Raum in den nächsten geschleift, verhört, beschimpft, geblendet. Er kommt am Abend frei, weil sich ein Polizist für ihn stark macht. "Er ist auch schwul. Er sagte, ich dürfe ihn nicht verraten. Sein Kollege sagte, ich käme diesmal noch frei, aber sie wären noch nicht fertig mit mir."

Bonn. Abdullah Hijazi, Kulturreferent der Generaldelegation Palästinas in Deutschland: "Davon höre ich zum ersten Mal. Das ist eine Kampagne, die übliche israelische Diffamierung des palästinensischen Volkes."

Rani erfindet eine Geschichte für den Vater und die Brüder, die draußen vor dem Gefängnis stehen. "Ich glaube nicht, dass sie mir das abgenommen haben."

Rani geht der Polizei zwei Monate später wieder ins Netz. Er hat einem Mann vertraut und ihm alles erzählt. "Als ich ihn dann im Gefängnis wieder sah, kapierte ich immer noch nicht, dass ich in eine Falle gegangen war. Dann sagte er: 'Es ist meine Arbeit, Leute wie dich aufzuspüren und auszuliefern.'"

Brüssel. Ilka Schröder bekommt Antwort von EU-Außenkommissar Chris Patten: "Die Kommission kennt Berichte über die angebliche Verfolgung Homosexueller in den Autonomiegebieten. Die Kommission ist besorgt und hat die Autonomiebehörde zusammen mit internationalen Gebern zu demokratischen Reformen aufgefordert."

Rani muss in der Sonne auf einem Bein stehen und bekommt Schläge, so oft er den anderen Fuß auf den Boden setzt. Er bekommt viele Schläge. Er wird an eine Betonplatte gekettet, ausgepeitscht und auf seinen Beinen drückt der Mann, dem er vertraut hat, Zigaretten aus. Rani wird in eine je einen Meter lange, breite und hohe Zelle gesperrt. Er darf nicht raus, um aufs Klo zu gehen, und als er nach zwei Tagen freigelassen wird, kann er nicht mehr stehen.

Gaza-Stadt. Fathi Tobail, Direktor des Nationalen Palästinensischen Informationszentrums: "Es tut mir leid zu sagen, dass Ihre Informationen über die Homos jeder Grundlage entbehren."

Rani wird zum nächsten Verhör geschleift. Er hört den Polizisten sagen: "Wir wissen, dass du ein Homo bist. Gib' uns eine Liste von allen Leuten, mit denen du Sex hattest oder von denen du weißt, dass sie homosexuell sind.'" Rani sagt wieder 'ja', um freizukommen und hofft, damit wären sie für den Moment beruhigt, "aber das stimmte natürlich nicht."

Rani wird zwei Jahre später wieder verhaftet, verhört, geschlagen und für knapp drei Monate ins Gefängnis geworfen, als ihm die Polizei auf seiner Flucht durchs Westjordanland auf die Spur kommt. Rani flieht dorthin, weil seine Brüder im Gaza-Streifen mehrmals versucht haben, ihn umzubringen.

Rani erzählt, wie ihn seine Brüder das erste Mal erwischen: Rani lädt seinen Freund Jamal zu sich ein, als alle in der Moschee sind. Er schließt ab und glaubt, sie sind sicher. Er weiß nicht, dass sein Bruder etwas vergessen hat. Er hat vergessen, dass sein Bruder auch einen Schlüssel hat. "Er erwischte uns, als wir uns nackt küssten, fesselte uns, sagte, er würde uns töten und ging weg, um die anderen Brüder und Jamals Familie zu holen." Ranis Mutter findet die zwei zuerst. "Sie wusste, mein Vater und die Brüder würden uns umbringen und sie ließ uns frei."

Rani erzählt, wie sie mit der Hilfe seines Onkels in Gaza-Stadt ins Westjordanland fliehen, wie Jamal Heimweh bekommt, wie der seinen Brüdern traut, als sie ihm ausrichten lassen, er könne zurückkommen. Wie sie ihn dann zum Krüppel schlagen.

Rani flieht alleine weiter. Er bleibt immer nur so lange an einem Ort, bis ihn seine Brüder wieder aufspüren. Er bleibt nie lange an einem Ort.

Rani verwirft die angrenzenden arabischen Länder. Er weiß, Schwule werden dort auch verfolgt. Er hat ohnehin keinen Pass, weil er seine Flucht dafür zu früh angetreten hat. In dem Alter bekommt man noch keinen. Er hat kaum Geld, weil er nie lange genug irgendwo hat bleiben können, um richtig zu arbeiten. Er kann keine falschen Papiere kaufen, um einen Flug zu buchen, um irgendwo Asyl zu suchen.

Rani tut, was Hunderte andere schwule Palästinenser tun. Er geht illegal über die Grenze nach Israel.

Rani erreicht sein Ziel. Er sieht, wie sich in Tel Aviv Männer auf der Straße küssen, ohne dass ihnen etwas passiert. Er geht durch die Stadt und sieht Bars und Kneipen, die extra für schwule Männer sind. Er hört, dass es in Israel Politiker gibt, die offen schwul leben. Er weiß, er ist in dem einzigen Land des Nahen Ostens, in dem er schwul sein darf. Er weiß, er hat eine Freiheit gesehen, die für ihn nicht gilt.

Brüssel. Die EU-Parlamentarierer Maurizio Turco und Marco Cappato haben Berichte über die Zurückschiebung schwuler Palästinenser auf dem Tisch und über die Weigerung des israelischen Innenministers Avraham Poraz, befristete Aufenthaltsgenehmigungen zu erteilen. Sie setzen eine Anfrage auf: "Wird der Rat der israelischen Regierung seine Besorgnis darüber zum Ausdruck bringen, dass durch die Ausweisungen das Leben homosexueller Palästinenser in Gefahr sein könnte?" Sechs Monate später bekommen sie Antwort: "Der Rat kann diese Informationen nicht bestätigen und hat diese Frage nicht im Einzelnen erörtert."

Rani hat sich das kurze Haar blondiert. Es ist rotbraun geworden. Der kurze Bart um sein Kinn ist dunkel wie seine Augen. Rani ist schlank und die Muskeln, die sich unter seinem ärmellosen Hemd abzeichnen, passen zu seinen kräftigen Oberarmen. Seine Bluejeans sind eng, seine Turnschuhe schwarz. Um seinen Hals trägt er zwei dünne Lederbänder. An einem hängt eine Muschel, an dem anderen ein Davidstern. Rani hat in Palästina gelernt, nicht aufzufallen. Er weiß, wenn er auffliegt, ist er in Gefahr. Palästinenser sind in Israel nicht vorgesehen.

Tel Aviv. Shaul Gonem ist Streetworker des israelischen Schwulenverbands Agudah und jede Nacht unterwegs, um sich um die Flüchtlinge aus Palästina zu kümmern: "Unser inoffizielles Abkommen mit der Polizei, das sie vor Abschiebung schützte, funktioniert nicht mehr." Er sagt, "sie wären hier ohnehin nie sicher vor ihren Familien. Die israelische Gesellschaft würde sie hier auch nie akzeptieren. Sie müssen ihre Wurzeln woanders finden." Er verzieht das Gesicht, weil er weiß, dass das nicht geht: "Kein Land der Welt will einen Palästinenser haben. Wir haben seit zwei Jahren keinen mehr außer Landes schaffen können." Er erzählt von Telefonaten mit Menschenrechtsorganisationen, der EU, der UN, und schüttelt den Kopf. Wegen schwulen Palästinensern verspielt keiner sein bisschen Einfluss auf die Parteien des Nahostkonflikts. "Sie sitzen zwischen allen Stühlen und sie sitzen hier fest. Sich Zeit für sie nehmen und zuhören ist praktisch das einzige, das man noch tun kann."

Rani geht der israelischen Polizei bald und mehrmals ins Netz. Die Polizisten schlagen ihn. Sie setzen ihn zweimal ins Auto und bringen ihn wieder zurück ins Westjordanland. "Ich bin gleich wieder zurückgelaufen." Für die israelischen Polizisten ist er ein potenzieller Selbstmordattentäter.

"Wenn ich zurück in die Autonomiegebiete muss, wird mich entweder die Polizei töten oder meine Familie, je nach dem, wer mich zuerst erwischt." Rani zieht an dem Davidstern, den er um den Hals trägt. "Aber ich kann auch nicht in Israel bleiben, wo die Polizei ständig versucht, mich zurückzuschieben." Rani lächelt immer noch und das wirkt wie sein letztes Schutzschild. Sein linkes Augenlid flattert, als er wieder in der Tel Aviver Nacht untertaucht.

Er versteckt sich in den Straßen von Tel Aviv. Selten findet er einen Aushilfsjob. Manchmal geht er in den Unabhängigkeitspark. Dort stehen schon mittags Männer im Schatten der Palmen am Rand der großen Wiese herum, die Sex mit anderen Männern zwischen den dichten Blättern der Büsche suchen und dafür ein paar Schekel bezahlen. Manchmal gibt es auch etwas zu essen.

Die israelische Polizei greift in letzter Zeit hart durch. Ihre Geduld schwindet mit jedem neuen Selbstmordattentat. Die Falle kann jederzeit zuschnappen. Wie in Gaza. Israel ist kurz vor Achmed.

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