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nachrichten aus israel gehen immer, sagt christian fürst. bei dpa in tel aviv. medium magazin, dezember 2003

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Überbelichtet

Im Tel Aviver Büro der Deutschen Presse Agentur (dpa) sorgt Redaktionsleiter Christian Fürst seit vier Jahren für die tägliche Meldung aus Israel. Auch wenn gar nichts geschieht. Eine ernüchternde Bilanz.

Von Wolfgang Frey und Tim Lochmüller

Tel Aviv. - Manchmal kommen Christian Fürst die vergangenen vier Jahre "wie verschwendet" vor. Anfang 2000 kehrte der dpa-Korrespondent nach Stationen in Indien und Großbritannien wieder nach Israel zurück. Mit inzwischen gründlich enttäuschten Erwartungen. Damals dachte Fürst, er könne "Oslo zu Ende bringen", vom "Ende des Friedensprozesses" berichten. Ende 2003 sitzt der 57 Jahre alte Redaktionsleiter mit dem kurzen angegrauten Haar im dpa-Büro im Untergeschoss eines Tel Aviver Hochhauses und sagt Dinge wie "der Friedensprozess ist absolut scheintot" und "der geistige und körperliche Energieverschleiß ist enorm". Und das deprimierendste dabei, sagt er, "ist die Frage: Was hat es gebracht?"

Keiner kommt in Israel um den permanenten Kriegszustand herum, erst recht kein Journalist. Kein Gespräch mit einem Israeli oder einem Kollegen, das nicht irgendwann zur Sache kommt. Jeder hat seine Meinung, seine Hoffnungen, mitunter seinen Zorn. "Sie können hier nicht sagen: Ich schreibe nur", sagt Fürst. "Sie können sich davon nicht freimachen. Abschalten ist kaum drin." Nicht vom Thema Nahost, nicht vom Job, nicht von der Frage: Wann kommt der nächste Anschlag? „Diesen Job kann man nicht unendlich machen“, sagt Fürst. Im Januar löst ihn Carsten Hoffmann ab. Fürst übernimmt das Wiener dpa-Büro.

Drei bis vier Jahre, länger lässt die Agentur ihre Auslandskorrespondenten nicht am gleichen Ort. Schon gar nicht in Tel Aviv. Nicht weil die journalistische Objektivität Schaden nehmen könnte. „Es ist eine physische Frage“, sagt Fürst. Die ist seit dem Beginn der zweiten Intifada schneller beantwortet, als früher.

Als Fürst Anfang der neunziger Jahre für dpa in Israel arbeitete, war ab und zu Zeit für Treffen mit Kollegen von anderen Agenturen oder Zeitungen. Neulich hat er es mal wieder versucht: "Kaum saßen wir uns in der Kneipe, musste jeder schon wieder los, weil irgendwas passiert ist." Es passiert ständig etwas, sagt er, "zu den idiotischsten Zeiten."

Anschläge während des Abendessens, Luftangriffe vor dem Aufstehen: Freizeit ist rar. Auch in Fürsts eigenen vier Wänden im Küstenstädtchen Herzliya, wo er wenige Kilometer von Tel Aviv entfernt mit seiner Frau lebt. „Sie können es sich nicht leisten, etwas Wichtiges zu verpassen“, sagt Fürst. Die erste Nachrichtensendung hört er um sieben Uhr morgens „per Kopfhörer im Bett“. Bevor er ins Büro fährt, hat er die ersten Telefonate geführt, oft mit seinen freien Mitarbeitern in den palästinensischen Autonomiegebieten. „Die arbeiten rund um die Uhr.“ Wann immer es geht, spielt Fürst Klarinette oder Tennis. Es geht selten.

„Totale mediale Überbelichtung“

Nachrichten aus Israel gehen immer. Nicht nur die großen. Das erhöht den Druck. Ein toter Palästinenser, sagt Fürst, ist als Nachricht so viel Wert "wie 100 tote Inder". Als wäre Israel der "Mittelpunkt der Welt." Er schüttelt den Kopf. In diesem Land, sagt er dann, "passiert sehr viel, aber es geschieht nichts." Der Friedensprozess macht keine Fortschritte, alles "tritt auf der Stelle, aber jeder kleine Schritt wird groß diskutiert." Die ganze Welt schaut auf Nahost, Deutschland nicht zuletzt aus historischen Gründen.

Fürst nennt das die "totale mediale Überbelichtung“. Vor Ort ergibt sich daraus eine schizophrene Lage: „Als Journalist bin ich dankbar, wenn gedruckt wird, was ich schreibe.“ Als Korrespondent mit Sinn für Wahrhaftigkeit ist ihm dabei aber „manchmal gar nicht wohl“. Eine „absurde Situation ist das“, sagt er, wenn jeder Tote und jede Politikerphrase zur Nachricht wird und deshalb gleichzeitig für vieles andere keine Zeit bleibt.

„Palästinenser, das sind nicht nur Selbstmordattentäter“, sagt Fürst. Und Israelis fliegen nicht nur Luftangriffe. Er erzählt von einer Umfrage in Europa, bei der die Befragten Israel als die größte Gefahr für den Weltfrieden bezeichnet haben. Nach Fürsts Einschätzung ist dieses Ergebnis auch Folge der medialen Überpräsenz Israels. Die tägliche Nachrichtenflut, Meldungen und vor allem die Bilder von Tod und Zerstörung bestimmen die Wahrnehmung der Region.

Gibt es keine Bilder, gibt es praktisch keine Nachricht - „das gilt für die Tagesschau wie für CNN“, sagt Fürst. Und da wird eine Faust auch mal nur für die Fernsehkameras geballt oder eine kleine Demonstration so gefilmt, das sie viel größer wirkt. Das Israel-Bild, das die Medien vermitteln, sagt Fürst, wird so „oft unvollständig“.

Was zählt, ist eher Aktualität als inhaltliche Tiefe: „Für ein größeres Feature ist man mehrere Tage unterwegs und findet die Geschichte dann nur in wenigen Blättern.“ Dafür hat er keine Zeit und dafür haben die Kollegen in der Hamburger dpa-Zentrale keinen Bedarf. Hamburg will Meldungen und täglich mindestens eine Zusammenfassung.

christian fuerst

Israel macht mit rund 600 Auslandskorrespondenten westlichen Hauptstädten Konkurrenz. Wenn Weltagenturen Büros "mit 20 Journalisten" und "freien Mitarbeitern in fast jeder Stadt" haben, "entsteht natürlich auch ein gewisser Druck, viel zu liefern", sagt Fürst. Die Konkurrenz bestimmt die Geschwindigkeit. Eine Möglichkeit, diesem Kreislauf zu entgehen, sieht er nicht. „Da sind wir absolut hilflos.“

Fürsts Blick schweift ab durch das 85 Quadratmeter große Büro. Der Schreibtisch für den fünften Kollegen steht schon, doch der kam nie. "dpa kann sich der Krise der Kunden nicht entziehen", sagt Fürst. Ein freier Kollege in Jerusalem, der auch Wochenenddienste schmeißt, einer in Ramallah, einer in Gaza. Im Vergleich mit Reuters, AP, und selbst afp hat dpa die wenigsten Leute in Israel und die vier Festangestellten teilen sich den deutschen und den englischen Dienst auf. "Aber wir sind Marktführer in Deutschland", sagt Fürst und das klingt stolz. Er zeigt den Abdruck eines zufällig ausgewählten Tages: "Wir werden öfter gedruckt als Reuters, AP und afp zusammen."

Das mag daran liegen, dass dpa extra für den deutschen Markt schreibt. Die anderen Agenturen schreiben für ihre Weltdienste, die oft einen anderen Fokus haben und
aus denen wiederum deren deutsche Kollegen das passende auswählen und übersetzen. Da bleiben Prägnanz und Schärfe oft auf der Strecke. Reibungsverluste, die dpa nicht hat. "Und da wir gleich auf deutsch liefern", sagt Fürst, "sind wir meist auch schneller."

Bei den deutschen Zeitungen, sagt Fürst, gibt es "zwei Schulen". Die einen wollen die "tägliche Geschichte" aus Nahost, "auch wenn gar nichts passiert ist". Die anderen halten es wie große amerikanische Blätter und berichten nur, wenn etwas großes passiert ist, "aber dann wollen sie viel". Dann sendet dpa aus Tel Aviv nach den Eilmeldungen zu Anschlägen und Luftangriffen, die die Radiostationen verlangen, Portraits, Features oder Hintergründe für die Zeitungen. "Wenn was los ist", sagt Fürst, "liefern wir am Tag 50 Meldungen und mehr." Wenn nicht, reichen auch mal zehn.

Der Bedarf an Nachrichten aus Nahost versiegt nie, es herrscht ständiger Lieferzwang. Das hat Fürst schriftlich. "Hier, sehen Sie", sagt er und holt die Mail aus Hamburg auf den Schirm, "das kriegen wir jeden Nachmittag aus der Zentrale: 'Haben Sie noch Termine für morgen?'" Wenn es keine gibt, schreiben die Redakteure in der Zentrale einfach "weitere Entwicklung in Nahost" in die Terminübersicht. Es entwickelt sich immer etwas.

Angst hat er eigentlich nicht, sagt Fürst. Die freien Kollegen im Westjordanland und im Gaza-Streifen, erzählt er, haben schon miterlebt, wie in unmittelbarer Nähe Bomben explodiert sind. In Tel Aviv fühlt sich Fürst dagegen kaum weniger sicher als in Deutschland, „wo man auch im Straßenverkehr sterben kann“. Doch ganz so ist es doch nicht: „Man meidet bestimmte Plätze und Cafés“, sagt er und „ab und zu stehe ich im Stau hinter einem Bus, und frage mich, was wäre, wenn der jetzt in die Luft fliegt.“

Zumindest die Zensur macht Fürst keinen Ärger. Verschärfte Bestimmungen, wie die Regierung sie vor kurzem einführen wollte, sind nach massiven Protesten von Journalisten und ihren Organisationen vorläufig wieder vom Tisch. Der Chef der Regierungspressestelle musste seinen Hut nehmen. Eine Zensur gibt es allerdings schon immer nach Todesfällen – zum Schutz der Angehörigen, wie es heißt. Auch Texte, die Sicherheitsinteressen berühren könnten, müssen dem Zensor gezeigt werden. Aber, sagt Fürst: „Über die Lage von Abschussrampen dürfte ich wahrscheinlich auch in Deutschland nicht berichten.“ Eine Einschränkung die sich auf den Arbeitsalltag nicht auswirkt: „Den einzigen Text, den ich je vorgelegt habe, handelte von eben dieser Zensur – und ging unverändert durch.“

Die Israelische Philharmonie, sagt Fürst nach einer Weile, "ist eines der besten Orchester der Welt". Doch für das Privatvergnügen und das dpa-Ressort Kultur bleibt kaum Zeit in Zeiten zunehmender Gewalt. Als er 2002 mit seiner Frau ein Abonnement für die Konzerte kaufte, blieben ihre Plätze leer. Fürst hat vergessen, wann er in den vergangenen vier Jahren das letzte Mal einen Artikel über etwas anderes als den Nahostkonflikt geschrieben hat. Irgendwie, sagt er, hängt hier alles damit zusammen. An eine ganz unpolitische Geschichte erinnert er sich dann doch noch. Eine Story über diesen fanatischen Elvis-Fan und Kneipenwirt, dessen Lokal in der Nähe von Jerusalem von Devotionalien des Kings nur so strotzt. Und dann war da noch die Story über das Korallensterben im Roten Meer. Doch das ist schon lange her.

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